Das Zukunftsmagazin von TÜV SÜD

WIE EINE ORGANISATION KLIMAPOLITIK MITGESTALTET

—— Aktivismus kann die unterschiedlichsten Formen annehmen. Anand Gopal arbeitet bei Energy Innovation, einer US-Denkfabrik für Klimapolitik. Er und sein Team versorgen Regierungsverantwortliche mit Analysen und Forschungsergebnissen. Das Ziel: stärkere Gesetze gegen den Klimawandel. Ein Gespräch über globale Symptome, die Klimaproteste und mehr.

TEXT DAVID LÜTKE

Hat Ihre Kindheit und Jugend in Indien ein besonderes Verständnis des Klimawandels beeinflusst? 
———— Ich bin früher viel gewandert, unter anderem im Himalaya-Gebirge. Jedes Jahr stellte ich fest, dass die Schneegrenze in den Bergen höher lag. Das brachte mich dazu, mehr über die Zusammenhänge erfahren zu wollen. So begann ich, über die Auswirkungen des Klimawandels zu lernen. 
Wie hat sich Ihre Sichtweise nach Ihrem Umzug in die USA verändert? 
———— Ich lebe seit mehr als 20 Jahren in Kalifornien. Als ich in die USA zog, fiel mir direkt die saubere Luft auf. Leider entspricht das inzwischen nicht mehr den Tatsachen. Die Schlagzeilen der letzten Jahre über die extremen Wetterereignisse allein in diesem Bundesstaat sind berüchtigt. Die Probleme der Luftqualität in den USA sind so extrem, dass einige der Messwerte inzwischen schlechter sind als in meiner Heimatstadt Chennai. Meine Perspektive ist daher wertvoll. Ich komme aus einer Region, die durch die Folgen des Klimawandels in extremer Weise betroffen sein wird. Und sogar an einem viel wohlhabenderen Ort werden mich die Auswirkungen des Klimawandels ziemlich hart treffen. Kein Teil der Welt wird ohne erhebliche Folgen davonkommen. Diese Perspektive hat also großen Einfluss auf meine Arbeit. 
Ist ein Verständnis der globalen Zusammenhänge wichtig, um die Probleme des Klimawandels anzugehen? 
———— Wenn man den Ärmsten der Welt – also den Bauern in Indien, Südostasien oder Subsahara-Afrika – helfen will, macht es bereits einen großen Unterschied, in den reichsten Ländern der Welt, wie den USA und Deutschland, etwas zu ändern. Wenn wir die Emissionen und Treibhausgase reduzieren, profitieren davon in erster Linie die Menschen, die an vorderster Front mit dem Klimawandel zu kämpfen haben. 
Ihre Arbeit mit Energy Innovation hat einen starken politischen Fokus. Wie bringen Sie den Kampf von der globalen Front des spürbaren Klimawandels auf die Tische, an denen Gesetze geschrieben werden – und mit welchem Ergebnis? 
———— Letztendlich ist Energy Innovation nur in der Lage, Berechnungen an diejenigen weiterzugeben, die die Macht haben, unsere wissenschaftlichen Analysen in konkrete Politik umzusetzen. Wir spielen eher eine unterstützende Rolle und das ist der Knackpunkt: Regierungsvertreter*innen erleben viel Lobbyismus von Industrien, die kein Interesse daran haben, den Klimawandel zu stoppen. Umso wichtiger ist es, dass Politiker*innen auch erfahren, warum es sich für das Klima zu kämpfen lohnt. 
Sie sprechen von politischer Macht. Liegt diese Macht nur in den Händen von Politiker*innen? Wie stehen Sie zu Klimaprotesten in ihren neuen Formen? 
———— Jeder größere gesellschaftliche Wandel erfordert eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure. Wir brauchen so viele Menschen wie möglich, die sich für das Klima einsetzen. Kein Ansatz ist effektiver ist als der andere. Wer sich dazu berufen fühlt, sich für das Klima einzusetzen, sollte das unbedingt tun. Und zwar auf die Art und Weise, die einen am meisten motiviert. Unterschiedliche Formen des Protests sind auch deshalb nützlich, weil sie in Zukunft wieder andere Menschen inspirieren und motivieren können, sich für das Thema Klima einzusetzen. 
Wie bewerten Sie wirtschaftliches Interesse als Motivation im Kampf gegen den Klimawandel? 
———— Wenn Sie nach der Technologie suchen, die die größten Gewinne abwirft, sind Sie mit sauberen Technologien wie Windkraft, Solar- oder Batterietechnologie viel besser beraten. Sie entwickeln sich schneller in Richtung Erschwinglichkeit, als es bei fossilen Brennstoffen der Fall war. Als Investor sollte Sie das interessieren, ob Ihnen das Klima am Herzen liegt oder nicht. Es gibt eigentlich keinen rationalen wirtschaftlichen Grund, gegen Klimaschutzmaßnahmen zu sein. 
Wie wird die Geschwindigkeit der Entwicklung sauberer Technologien die globale sozioökonomische Landschaft verändern? 
———— Natürlich wird es Wohlstandstransfers von einem Sektor zum anderen geben. Das ist der Grund, warum wir alle noch nicht an einem Strang ziehen. Gleichzeitig ist es unausweichlich, dass saubere Technologien in Zukunft unser Technologiestandard sein werden. Aber dieser technologische Wandel muss schneller gehen als bei jedem anderen zuvor – denn das Klima wird sich noch weiter verschlechtern, wenn man nur den Marktkräften freien Lauf lässt. 
Unternehmen scheinen oft darauf zu warten, dass der Gesetzgeber ihnen eine Richtschnur vorgibt. Was muss geschehen, damit der Privatsektor mit mehr Eigeninitiative vorangeht?
———— Diese Wahrnehmung ist im Allgemeinen völlig korrekt. Unternehmensbasierte Innovation und politische Innovation wirken allerdings meist zusammen. Tatsächlich ist es für eine Aktiengesellschaft mit Stakeholdern schwierig, mit dem Versprechen längerfristigen Erfolgs auf die Gewinne des nächsten Quartals zu verzichten. Das erklärt unter anderem auch die konservative Einstellung gegenüber bestehender Geschäftsmodelle und Marktanteile.
Haben Sie ein Beispiel dafür, wie mutiges unternehmerisches Handeln zu messbaren Ergebnissen führen kann?
———— Ja. Tesla konnte sich fast ein Jahrzehnt lang auf Einnahmen stützen, die das Unternehmen durch eine Überkompensierung des staatlichen kalifornischen Förderungsprogramms für emissionsfreie Fahrzeuge erhalten hat. Sie konnten Carbon-Offset-Credits an ihre Konkurrenz verkaufen, die nicht so viele emissionsfreie Fahrzeuge produziert hatte. Ein gutes Beispiel von Innovation, gefördert durch Politik.
Welche technologische Entwicklung gibt Ihnen Hoffnung?
———— Neben Solar-, Windkraft- und Batterietechnologie hat vor allem eine Innovation enormes Potenzial für die Reduzierung von Emissionen – und das ist alternatives Protein. Pflanzliche und kultivierte Fleischalternativen können unglaublichen Wandel herbeiführen. Ein großer Teil der Ackerflächen für den Anbau von Futtermitteln würde plötzlich nicht mehr benötigt werden. So könnten wir viel mehr Kohlenstoff auf natürliche Weise binden als bisher. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Aber auch Solarenergie steckte vor zwanzig Jahren noch in den Kinderschuhen und niemand glaubte, dass sie eines Tages einen so großen Marktanteil erreichen würde.

FOTOS

Philotheus Nisch (Pflanze); Energy Innovation: Policy and Technology (Porträt); Juan Moyano/Stocksy (Globus)  

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