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WIE ÄHNLICH WERDEN UNS ROBOTER?

—— Alexa steuert die Musikanlage, Roboter saugen die Wohnung. Intelligente Maschinen nehmen uns schon heute Aufgaben ab. In Zukunft könnten sie uns immer ähnlicher werden. Was macht das mit uns? Und worin ähneln uns die Roboter?

Silikonhaut und Echthaar: Der Roboter Geminoid HI-5 von Hiroshi Ishiguro.

TEXT ANNA GAUTO

Wer mit Hiroshi Ishiguro via Videochat telefoniert, muss genau hinsehen, um den japanischen Rockstar der Robotik nicht mit der Maschine neben ihm zu verwechseln. Sie blinzelt wie er, nickt wie er und neigt den Kopf ganz ähnlich zur Seite wie er. Die Maschine neben Ishiguro sieht nicht nur aus wie ein Mensch. Sie sieht aus wie ­Ishiguro selbst.

Ishiguro, schwarzer Seitenscheitel, ernster Blick, streicht mit dem Zeigefinger über die Wange seines Ebenbildes aus Kunststoff, Platinen und Metall. „Die Haut ist aus Silikon, das Haar echt“, sagt der 57-Jährige. „Dazu bewegt sich sein Kopf immer leicht – so wie bei uns Menschen.“

Ishiguro hat den Roboter Geminoid HI-5 getauft. Dass in ihm kein Herz schlägt, erkennt man zunächst nur daran, dass der Torso fehlt. Dafür hat die Vorgängermaschine, Geminoid HI-4, die hinter Ishiguro an der Wand lehnt, einen Körper. Auch dieser Roboter ist ein maschineller Zwilling des Japaners. Von ihm lässt sich Ishiguro bei Vorlesungen an der Osaka-Universität vertreten. Fragen können die Studenten dem echten Professor später im Chat stellen. „Meine Studenten mögen Geminoid HI-4 ohnehin lieber“, sagt Ishiguro und zeigt hinter sich. „Sein Gesicht ist sanfter, nicht so streng wie meins.“

Mit etwa 30 Humanoiden, mensch­en­­ähnlichen Robotern, hat Ishiguro, der auch mal für Gucci Werbung machte, inzwischen experimentiert. Einer seiner Stars ist Erica. Die brünette Roboter­dame übertrumpft Ishiguros Geminoide, die von Menschen ferngesteuert werden, sogar noch einmal. Bis zu zehnminütige Unterhaltungen könne sie bereits selbstständig führen, so Ishiguro. „Völlig autonom.“

Ihre Brust hebt und senkt sich dabei, die Kameraaugen filmen die Gesprächspartner. Die Roboterfrau vermisst Gesichter, erfasst Stimmen und passt ihre Emotionen, Mimik und Gestik für jede Situation an. Sie lächelt, nickt oder fragt nach. „Besucher in Hotellobbys genießen die Konversation mit ihr“, sagt Ishiguro. Über 150 Themen kenne die Empfangsdame aus Bits und Blech. Manche Hotelgäste wollten nicht glauben, dass Erica ohne Fernsteuerung auskomme, sagt er stolz. Genau wie viele andere Robotikforscher weltweit fasziniert Ishiguro die Frage, wie Menschen auf Maschinen reagieren, die so aussehen wie sie. Oder die sich so benehmen, weil sie Freude, Trauer oder Angst ausdrücken, also Emotionen zeigen, eine eigentlich menschliche Kernkompetenz. Ishiguro will herausfinden, wie es gelingen kann, dass Menschen die neuen sozialen Begleiter akzeptieren. Schließlich sei es nur eine Frage der Zeit, ehe sie uns in Büros, Pflegeheimen, Supermärkten und Wohnzimmern begegnen.

Hiroshi Ishiguro umarmt Roboterfrau
Roboterfrau mit Echthaar und Silikonhaut blickt melancholisch zu Boden.
HAUT AUS SILIKON Hiroshi Ishiguro erschafft Roboter, die uns immer ähnlicher werden. Er will wissen, wann wir sie als Begleiter akzeptieren.

KOLLEGE ROBOTER

Neben Ishiguro ist davon auch Ruth Stock-Homburg überzeugt. Die Professorin für Marketing und Personalmanagement an der Technischen Universität (TU)  Darmstadt und Gründerin des leap in time Forschungsinstituts Darmstadt schätzt, dass wir schon in „vier bis neun Jahren soziale Roboter in unserer Bürowelt in Arbeitsteams integriert haben“. Dazu zählen Roboter mit menschlichen Zügen und Formen, die unter dem Oberbegriff Humanoide zusammengefasst werden, wie etwa Pepper, der weltweit durch Foyers und Kliniken rollt. Aber auch Androide wie Erica, die als humanoide Roboter bezeichnet werden, da ihr menschliches Äußeres dem Menschen besonders nahekommt, weil ihre Haut, Haare und Stimme dem Menschen komplett nachempfunden sind.

Corona beschleunigt die Entwicklung zusätzlich. Die Pandemie hat die Akzeptanz von Robotern laut Stock-Homburg „radikal“ erhöht. Das zeigen zwei Studien der TU Darmstadt, die den Einsatz von Robotern im Kundenkontakt und in Teams in Unternehmen seit Ausbruch von Covid-19 untersuchen. Demnach sehen über zwei Drittel der Befragten deutliche Vorteile von Servicerobotern, etwa im Einzelhandel, wo sie das Infektionsrisiko senken könnten. Auch in Firmen will die Mehrheit der Befragten interaktive Roboter einsetzen.

Noch vor Kurzem hätte die 48-jährige Betriebswirtin das für illusorisch gehalten. Denn die wackeligen Gefährten missverstehen Menschen noch immer häufig, etwa bei Hintergrundgeräuschen oder wenn Menschen nuscheln oder durch Masken sprechen. Mit der Weiterentwicklung von Hardware, Rechnerkapazitäten und durch Sprünge im Quantencomputing sieht Stock-Homburg für interaktive Roboter allerdings ungeahnte Entwicklungsmöglichkeiten. Auch in der Mechanik. Ein von ihrem Kollegen trainierter Roboter zeige beim Pingpong eine Treffergenauigkeit von 95 Prozent, schwärmt sie.

Die Vorstellung, ein künstliches Ebenbild seiner selbst zu erschaffen, fasziniert den Menschen schon lange. Was aber, wenn wir tatsächlich Maschinenwesen begegnen, die so ähnlich aussehen wie wir? Die handeln und entscheiden wie ein Mensch? Was, wenn wir Sympathien entwickeln für solche Helfer aus Silikon, Platinen und Blech, die uns jeden Wunsch von den Lippen ablesen? Die, sobald wir sie als „soziale Gegenüber“ wahrnehmen, auch die „soziale Fürsorge“ in uns ansprechen, ob wir wollen oder nicht, wie Martina Mara, Professorin für Roboterpsychologie am Linz Institute of Technology der Johannes Kepler Universität Linz zu Bedenken gibt.

Androidin Elenoide soll wie eine Unternehmerin aussehen.

„In vier bis neun Jahren haben wir soziale Roboter in Bürowelten der Arbeitsteams integriert.“

Ruth Stock-Homburg

Solche Fragen untersucht Stock-­Homburg mit dem kindlich anmutenden Pepper. Und mit der Androidin Elenoide. In ihrem roten Blazer soll die Roboterfrau wie eine Unternehmerin aussehen. Wie ­Ishiguros Androide wurde sie von der Tokioter Firma A-Lab in Japan gebaut. Kosten: 400.000 Euro. Stock-Homburgs Team hat Elenoide mit Algorithmen und Sensoren bestückt. So kann sie sich wie die japanische Roboterdame Erica von Hiroshi Ishiguro nicht nur selbstständig mit Menschen unterhalten und deren Stimmung erfassen, sondern auch mit Emotionen wie Freude oder Überraschung auf sie reagieren.

Das Pharmaunternehmen Merck testete Elenoide bereits in der Personalentwicklung. Die Mitarbeiter reagierten überwiegend positiv. Eine Haupterkenntnis für Stock-Homburg: Gerade für anspruchsvolle Aufgaben, wenn etwa eine Expertenmeinung zu einem komplexen Thema gefragt ist, seien Androide besser geeignet als Humanoide wie Pepper. Mit seinen kindlich-großen Augen sei der zu niedlich, um ernst genommen zu werden. Außerdem fehle den klar als Maschinen erkennbaren Robotern die Glaubwürdigkeit. Sie eigneten sich eher für simple Konversationen und Aufgaben, etwa Gäste am Empfang zu betreuen. Bei einer freundlichen und kompetenten Elenoide hingegen sei die Akzeptanz fast so hoch wie bei einem Menschen, so Stock-Homburg.

Ruth Stock-Homburg lächelt
Androidin Elenoide sitzt mit Frau am Tisch vor einem Laptop..
AKZEPTANZ RADIKAL ERHÖHT Ruth Stock-Homburg hat die Androidin Elenoide entwickelt, die bereits in menschlichen Teams mitarbeitet.

IM UNHEIMLICHEN TAL

Wie anders wir auf menschlich aussehende Roboter reagieren, weiß auch Will Jackson, Chef des britischen Androidenbauers Engineered Arts. Auf einem Robotik-Panel erzählte er, wie sich Mitarbeiter um einen ausgeschalteten Androiden gruppierten, als könne der sich mit unterhalten. „Sie behandelten ihn wie einen Menschen“, so der Entwickler.

Wenn menschenähnliche Roboter nichts tun oder ernst blicken, können sie Menschen allerdings auch verstören. Elenoide könne „ziemlich uncanny“, also unheimlich sein, gibt Stock-Homburg zu. Mit dem englischsprachigen Begriff spielt sie auf die Uncanny-Valley-Hypothese (unheimliches Tal) des japanischen Robotikforschers Masahiro Mori an. Die These beschreibt, wie die Akzeptanz einer künstlichen Figur mit ihrer Menschen­ähnlichkeit zunächst bis zu einem Punkt hoher Übereinstimmung steigt, sich dann aber für eine gewisse Spanne in ihr Gegenteil verkehrt: je menschenähnlicher, desto unheimlicher. Erst bei fast perfekter Menschengleichheit löst der Roboter wieder angenehme Gefühle aus.

Dass seine Schöpfungen dieses düstere Tal längst verlassen haben, davon ist Hiroshi Ishiguro überzeugt. Für seinen Telenoid, den er als Nächstes auf seinen Schoß nimmt, gilt das allerdings nicht. Er hat keine Geschlechtsmerkmale, ist weiß und so groß wie ein Kleinkind. Mit seinen Stummelarmen, dem Silikonkörper und dem kahlen Kopf ist er laut ­Ishiguro für Demenzkranke die perfekte Projektionsfläche, die ihnen beim Erinnern hilft. Sie brauchten das Konturlose. In Pflegeeinrichtungen wird Telenoid derzeit getestet, im Netz zeigt sich Abscheu. Unter Youtube-Videos kommentieren Nutzer, der Roboter sei ein „ekliges Baby“, ein „verunstalteter Fötus“. Ein Nutzer schreibt „Verbrennt ihn!“. Anders als der niedliche Pepper und die Ericas und Elenoides dieser Welt fallen Figuren wie Telenoid beim Akzeptanztest durch. Unheimlich sollen Roboter nicht sein, keine Freaks.

Weißer Roboter ohne Geschlechtsmerkmale, mit Silikonkörper und kahlem Kopf
HIROSHI ISHIGUROS TELENOID

Gleichzeitig sollte es auch nicht zu sehr menscheln. Das finden jedenfalls Experten wie Alan Winfield, der sich mit den ethischen Fragen befasst, die Androide aufwerfen. „Sobald Roboter wie Menschen aussehen, sind wir verletzlich. Wir können dann nicht anders, als emotional zu reagieren“, sagt der Professor für Roboterethik an der University of the West of England. Wir anthropomorphisieren in solchen Fällen und schreiben Gegenständen menschliche Eigenschaften zu. Besonders dann, wenn sie uns ähneln oder starke „soziale Reize“ anbieten, etwa Gefühle wie Trauer oder Angst.

Dass solche Sorgen nicht unberechtigt sind, hat Barbara Müller, Juniorprofessorin am Behavioural Science Institute der Radboud University Nijmegen, erlebt. In einer Studie mit der Ludwig-Maximilians-Universität München untersuchte sie, inwiefern Probanden in einer Dilemmasituation bereit waren, Menschen anstelle von Robotern zu opfern. Um die Situation zu erschweren, schrieben die Studienleiter Robotern menschliche Emotionen und Entscheidungsmöglichkeiten zu.

Roboter mit großen Augen und fragendem Gestus
Roboter blickt mit großen Augen und einem Lächeln über die Schulter.
ZU SÜSS ZUM AUSSCHALTEN Wenn Maschinen Emotionen simulieren, entwickeln wir Hemmungen, sie auszuschalten. Forscher warnen vor „sozialer Ansteckungsgefahr“.

SOZIALE ANSTECKUNGSGEFAHR

Das Ergebnis: Je menschenähnlicher die Roboter, desto weniger waren die Versuchspersonen bereit, sie zu zerstören. Schon das sei „absurd“, schließlich müsste man wissen, dass Roboter nicht wie wir fühlen, so Müller. „Schockierend, aber nicht überraschend“, war für die 39-jährige Psychologin allerdings, dass die Empathie bei manchen Teilnehmern so weit reichte, dass sie lieber eine Gruppe Menschen opferten als den armen Roboter. Die Ergebnisse konnte Müllers Team mit weiteren Experimenten replizieren.

„Wer sich mit Mensch-Roboter-Interaktion auskennt, weiß, dass wir besonders empathisch reagieren, wenn Maschinen Emotionen simulieren.“

Barbara Müller

Auch für den Kommunikationspsychologen Markus Appel von der Universität Würzburg sei das „ein Gamechanger“. „Wir“, so Appel, „reagieren dann mit Schemata, die wir auch bei Menschen anwenden.“ Humanoide Maschinen sind also „sozial ansteckend“, wie es in der Robotik-Mensch-Forschung beschrieben wird. Wenn sie sich fröhlich zeigen, geht es uns besser, wenn sie leiden, leiden auch wir. Das unterstreichen Experimente von Kate Darling, einer Forscherin am MIT Media Lab.

Darling ließ die Probanden mit ­einem putzig quiekenden Dino-Roboter spielen. Die meisten weigerten sich im Anschluss, den Roboter auf Darlings Anweisung hin zu köpfen. Eine Probandin umklammerte ihren Dino sogar und entfernte die Batterie, um „ihm Schmerzen zu ersparen“. Ähnlich erging es Probanden der Universität Duisburg-Essen. Sie brachten es nicht übers Herz, Nao, den kleinen Vorgänger des Roboters Pepper, auszustecken, wenn der rief: „Bitte schalte mich nicht aus! Ich fürchte mich im Dunklen.“

Studien zeigen, dass insbesondere einsame Menschen stark anthropomorphisieren. Das biete Raum für Missbrauch, mahnt Joanna Bryson, Professorin für Ethik und Technologie an der Hertie School Berlin. „Empathie funktioniert umso besser, je ähnlicher uns jemand ist“, sagt Bryson. Das nutzten Hersteller für ihr Marketing. Das Trügerische dabei: Maschinen seien in Wahrheit kein bisschen wie wir. „Ratten sind uns ähnlicher“, sagt Bryson. Vorzutäuschen, Maschinen könnten fühlen wie Menschen, sei daher gefährlich und manipulativ. Bryson fordert deswegen, dass Hersteller transparent machen, wie und wozu eine Maschine programmiert sei. „Es muss klar sein, was eine Maschine kann, und vor allem, was nicht“, so Bryson. Damit wir Roboter akzeptieren, ihnen aber nicht verfallen, plädieren Forscher zudem dafür, soziale Roboter so zu entwickeln, dass weniger das affektive, dafür das kognitive Vertrauen im Vordergrund steht. Akzeptanz durch Aufgeklärtheit statt durch Emotionen.

Die Darmstädter Forscherin Stock-­Homburg teilt solche Bedenken. Auch sie hat erlebt, dass Menschen Elenoide so sehr vertrauten, dass sie bereitwillig Daten mit ihr teilten – auch wenn Smartphones heute wesentlich mehr Daten absaugen, als das Roboter aktuell könnten. Maschinen mit Emotionen auszustatten, findet sie dennoch „unabdingbar“. Zum einen erleichtere das die Interaktion, zum anderen steigere es die Akzeptanz und Zufriedenheit. Unbedingt müsse man aber „eine verantwortungsvolle ­Digitalisierung schon im Design mitdenken“.

Mit der Robotik, konstatiert Stock-Homburg, sei es da wie mit einem Buttermesser. „Man kann Brote schmieren. Und man kann damit zustechen.“

FOTOS

Makoto Ishida/ATR Hiroshi Ishiguro Laboratories/Geminoid™ HI-1 (Video); ERATO ISHIGURO Symbiotic Human-Robot Interaction Project (Ishiguro mit ERICA); ATR/Dentsu Inc. (weiblicher Roboter Kodomoroid™); Osaka University (Roboterkopf Geminoid™); FG Marketing und Personalmanagement, TU Darmstadt/leap in time (Porträt Stock-Homburg, Elenoide am Tisch); picture alliance/Arne Dedert/dpa (Elonoide); Osaka University/ATR Hiroshi Ishiguro Laboratories (Telenoid); SoftBank Robotics Europe (Nao); picture alliance/REUTERS/Gonzalo Fuentes (Pepper)

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