Das Zukunftsmagazin von TÜV SÜD

WIE WEARABLE ROBOTICS DEN ARBEITSPLATZ VON MORGEN PRÄGEN

—— Das weltweit erste Roboter-Exoskelett mit TÜV SÜD-Zertifizierung könnte den Weg in die Zukunft des technischen Arbeitsschutzes ebnen – auch unterstützt durch künstliche Intelligenz.

TEXT DAVID LÜTKE

In fast allen europäischen Ländern klagen Unternehmen über den Fachkräftemangel. Ein Grund für die zunehmende Schwierigkeit, qualifiziertes Personal zu finden, ist der demografische Wandel: Geburtenstarke Jahrgänge stehen vor dem Ruhestand. Exoskelette – auch Wearable Robotics genannt – könnten eine moderne Lösung für ein modernes Problem sein. Denn laut einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin gehen mehr als 25% aller krankheitsbedingten Fehltage in Deutschland auf das Konto von Muskel-Skelett-Erkrankungen. Die Hauptursache: unergonomisches Arbeiten. Haben Wearable Robotics das Potenzial, bis zum Renteneintritt für schonendere Arbeitsumstände zu sorgen?

Exoskelette sind außen am Körper getragene Strukturen, die Rumpf, Rücken oder auch einzelne Extremitäten stabilisieren und stützen. Das erste Exoskelett tauchte als Patent schon 1890 auf. Nicholas Yagn, im Dienst des russischen Zaren, stellte eine Apparatur für schnelleres Gehen vor. Seitdem wurden immer effizientere Systeme entworfen – für den militärischen Bereich, die Medizin und gewerbliche Einsätze.

Heute entwickeln weltweit rund 100 kleine und große Unternehmen Wearable-Robotics-Anwendungen aller Art. So gibt es Exoskelette für den Hirnchirurgen, der lange mit ruhiger Hand präzise arbeiten muss, oder Armstützen für die Mechanikerin, die anstrengende Arbeiten über dem Kopf ausführen muss. Mit körperlich anspruchsvollen und repetitiven Fließbandtätigkeiten gehört vor allem die Automobilindustrie schon zu den größten Abnehmern der Technologie.

Neben rein mechanischen und aktiv motorisierten Einheiten kündigt sich aktuell künstliche Intelligenz als neuer Trend bei Wearable Robotics an. Kameras berücksichtigen hier die Umgebung und lösen selbstständig die nötigen Bewegungen wie Gehen, Stehen oder Sitzen aus. Darüber hinaus lernen die Systeme, Bewegungsabläufe und verschiedene Arbeitssituationen zu antizipieren und vorausschauend zu unterstützen.

Produkte mit einem solch intensiven Anstieg an Komplexität haben hohe Qualitätsanforderungen. Vergangenes Jahr wurde erstmals ein TÜV SÜD Prüfzeichen für ein elektrisches Exoskelett vergeben. Der Hersteller German Bionic erhielt das Zertifikat „TÜV SÜD Safety Tested“ für sein Modell Cray X.

„Der Einsatz künstlicher Intelligenz in Exoskeletten wird auf jeden Fall zunehmen.“

In der Intralogistik kann ein Exoskelett Arbeitende unterstützen, in dem Rücken und Schultern stabilisiert werden. So können auch in Bodennähe regelmäßig schwerere Lasten gehoben und bewegt werden.
Mechaniker, die lange präzise mit den Armen über dem Kopf arbeiten müssen, wie zum Beispiel in einer Montagestraße der Automobilindustrie, können durch ein System mit Armstützen unterstützt werden.
Menschen mit Wirbelsäulenverletzungen können womöglich durch Wearable Robotics im Bereich der Beine unterstützt werden.
Neuere Systeme enthalten Sensoren und Kameras sowie lernfähige KI-Technologie. Damit können sie Arbeitssituationen und Bewegungsabläufe erlernen und erkennen, um noch intuitiver zu unterstützen.
WEARABLE ROBOTICS Gesünder heben, präziser schrauben, gehen lernen. Exoskelette sind vielfältig einsetzbar. Die nächste Generation der Systeme setzt auf Vernetzung und Künstliche Intelligenz. Fotos: German Bionic (1,4) Hyundai (2,3)

Mit der Vergabe bestätigt TÜV SÜD die Einhaltung der grundlegenden technischen Sicherheitsanforderungen des KI-basierten aktiven Exoskeletts.

Mit der Begleitung des Projekts von German Bionic folgt TÜV SÜD einer klaren Linie: Zertifizierter Arbeitsschutz ist der Schlüssel für ein gesundes und motiviertes Team. Mit der international anerkannten ISO 45001-Zertifizierung können Arbeitgeber soziale Verantwortung nachweisen. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz umfasst nicht nur Bereiche wie Chemikalien oder Maschinen sondern auch die Ergonomie und damit präventive Unfall- und Verletzungsvermeidung.

Im konkreten Fall von German Bionic könnte die Zertifizierung auch weiteren KI-unterstützten Innovationen den Weg in die Zukunft ebnen.

„Der Einsatz künstlicher Intelligenz in Exoskeletten wird auf jeden Fall zunehmen“, bestätigt Semhar Kinne. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Maschinen und Anlagen am Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik und untersucht mit einem interdisziplinären Team die Anwendungsmöglichkeiten und Usability von angetriebenen und passiven Exoskeletten.

Die Expertin sieht im Einsatz von Sensoren auch einen vielversprechenden Vorteil für das Logistikzentrum der Zukunft: „Wenn ich mit einem Exoskelett eine bestimmte Bewegung ausführe, kann gleichzeitig woanders schon der nächste Prozess in Gang gesetzt werden.“ Ein Exoskelett, das bei jedem Vorgang (bei Bedarf anonymisierte) Daten erhebt? Eine großartige Chance, um Prozesse und Abläufe in der Produktion oder Logistik zu optimieren und sie effizienter oder flüssiger zu machen.

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