Das Zukunftsmagazin von TÜV SÜD
Illustration eines Fusionsreaktors

WARUM FUNKTIONIERT DIE KERNFUSION NOCH NICHT?

TEXT TANITA HECKING
ILLUSTRATION ANTON HALLMAN / SEPIA

—— Seit Jahrzehnten ist die Kernfusion als unerschöpfliche und umweltfreundliche Energiequelle im Gespräch. Was in der Theorie verlockend klingt, scheitert allerdings bislang in der Praxis. Fünf Probleme, mit denen die Kernfusion bis heute kämpft.

WIE FUNKTIONIERT’S?

Die Kernfusion ahmt die energiereichen Prozesse der Sonne nach. Zwei winzige Wasserstoffatomkerne verschmelzen zu einem großen Atomkern. Dabei werden ein Neutron und jede Menge Energie in Form von Wärme freigesetzt, die anschließend in Strom umgewandelt werden könnte. In der Praxis sollen die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium miteinander fusionieren und sich zu Helium verbinden. Die große Herausforderung der Kernfusion liegt in den Atomkernen selbst. Sie sind positiv geladen und stoßen sich im Normalfall ab. Nur, wenn sich die Atome sehr nahekommen, wird eine Fusion möglich. Denn dann überwiegt die anziehende Kraft die abstoßende Kraft und die Wasserstoffteilchen können verschmelzen. Damit das gelingt, braucht es allerdings mehrere Millionen Grad Celsius.

Warum hakt’s?

Illustratiion der Bewegung und Trennung von Atomen und Elektronen.

1. DAS PLASMA

Damit Atomkerne miteinander verschmelzen können, muss im Vakuumgefäß des Fusionsreaktors ein stabiles Plasma herrschen. So wird der vierte Aggregatzustand neben flüssig, fest und gasförmig genannt. Damit es entsteht, wird Gas extrem erhitzt, bis Atome und Elektronen anfangen, sich zu bewegen und sich voneinander trennen. Solches Plasma in der notwendigen Größenordnung über mehrere Wochen oder gar Monate aufrechtzu­erhalten, ist bisher jedoch noch nicht gelungen.

Illustration der Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium.

2. DER ROHSTOFF

Die Kernfusion könnte mithilfe der Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium gelingen. Während Deuterium aus Meerwasser gewonnen wird, kommt Tritium in der Natur nur in Spuren vor und seine Verfügbarkeit muss anderweitig gesichert werden.

Illustration eines Thermomethers, das die Höchsttemperatur überschritten hat.

3. DAS MATERIAL

Im Inneren eines Reaktors entsteht eine enorme Hitze von bis zu 150 Millionen Grad, ein Vielfaches der Wärme, die im Kern der Sonne wirkt. Ein Material, das dieser unvorstellbar heißen Hitze auf Dauer standhält, existiert bisher nicht.

Illustration von Reaktionen aus Neutronen Lithium.

4. DIE BREEDING BLANKET

Eine Lösung könnte sein, Tri­tium mithilfe einer sogenannten Breeding Blanket selbst zu erzeugen. Unter einer Breeding Blanket stellen sich Forscher eine Hülle vor, die das Plasma umgibt. Wenn Neutronen in dieser Breeding Blanket auf Lithium treffen, entstehen Tritium und Helium. Eine solche Breeding Blanket wurde bis heute jedoch weder gebaut noch getestet und funktioniert auch in der Computersimula­tion noch nicht.

Illustration eines Atomkraftwerkes

5. DIE ENERGIE

Die Verschmelzung von Atomen benötigt sehr viel Wärme und Druck. Die Produktion von beidem verschlingt allerdings Unmengen an Energie. Bisher wurde noch kein Weg gefunden, mithilfe der Kern­fusion mehr Energie zu gewinnen, als in sie hineingesteckt wurde. Erst dann aber wird die Kernfusion wirtschaftlich.

DER FUSIONSREAKTOR ITER

Mit dem Fusionsreaktor ITER wollen Forscher aus 35 Ländern der Kernfusion einen Schritt näher kommen. Seit 2007 wird der Reaktor in Saint- Paul-lés-Durance in Frankreich errichtet. Erst im März diesen Jahres erhielt ITER das erste Bauteil für den Vakuumbehälter. Bis 2025 soll der Reaktor fertig sein und Ende 2025 in ihm das erste Plasma entstehen. Doch bis die Kernfusion Wirklichkeit wird, könnten noch mehrere Jahrzehnte verstreichen. Denn vieles funktioniert bisher auch in der Theorie noch nicht.

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