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Johannes Frech steht am Spielplatz „Hariboschiff“ in der Bonner Rheinaue. Es ist windig an diesem Donnerstagnachmittag Mitte Juli, der Himmel über den grünen Wiesen entlang des Rheins ist mit dunklen Wolken verhangen. Doch Frech kennt kein schlechtes Wetter, er ist in Radlerkleidung gekommen. Seit 30 Jahren ist er Mitglied im Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC), zwölf Jahre lang war er Sprecher der Verkehrsplanungsgruppe des ADFC-Kreisverbands Bonn/Rhein-Sieg. Irgendwann hatte er keine Lust mehr, sich mit der Stadt Bonn über „falsch aufgestellte Poller“ zu streiten. Deshalb konzentriert sich der Mann im Radleroutfit jetzt auf das nächste große Ding: die neue Seilbahn in Bonn.
Für Johannes Frech ist die Seilbahn in Bonn die Lösung für viele Infrastrukturprobleme der ehemaligen Hauptstadt.
2028 soll sie kommen, wenn alles glattgeht, und alles verändern, wenn man Frech glauben mag. Vom Spielplatz kann man schon davon träumen, wie die Bahn eines Tages von der Rheinaue hinauf auf den Venusberg fährt. Dort oben steht das Universitätsklinikum Bonn, und die Straße hinauf auf den Berg ist ein ungeliebtes Nadelöhr für den Verkehr. Ein Ärgernis, das die Seilbahn lösen soll.
Doch die Seilbahn in Bonn, so ist sich Frech sicher, könnte nicht nur dieses Problem lösen, sondern gleich viele auf einmal. Denn Seilbahnen werden international längst als Verkehrsmittel der Zukunft gehandelt. In Südamerika haben sie das bereits bewiesen. Sie bringen Modernität und Mobilität in die Armenviertel der Peripherie und integrieren diese Stadtteile in die Stadtplanung. In Europa taten sich Verkehrspolitiker hingegen lange schwer mit dem Einsatz in der Dimension „+1“. Doch auch hier findet jetzt ein Umdenken statt. Die Bundesregierung entwickelt gerade einen Leitfaden, um den Ausbau der Bahnen zu erleichtern, und das Bundesministerium für Digitales und Verkehr will Anreize setzen, um Verkehr nicht mehr nur auf der „Ebene 0“ zu denken. Findet hier gerade eine Mobilitätswende statt, die das Leben vieler Millionen Menschen verändern könnte? Und falls ja: Kann das gutgehen?
In den vergangenen Jahrzehnten ist der Trend hin zur Seilbahn stärker geworden Immer mehr Projekte werden realisiert, immer mehr Städte springen auf den Zug auf – oder eher die Bahn. In Toulouse, Frankreich, haben sie mittlerweile eine, in Bonn ist eine Bahn in der Planung, in Leipzig denkt man darüber nach, und in der türkischen Metropole Ankara schweben die Gondeln bereits. Noch weiter ist man in den Megastädten Lateinamerikas, wo die Seilbahnen längst erfolgreiche Alternativen für Tram, Bus oder Autos geworden sind. In der kolumbianischen Millionenstadt Medellín beispielsweise entstand vor 25 Jahren die erste moderne städtische Seilbahn. Eine weitere Erfolgsgeschichte war der bolivianische Regierungssitz La Paz, wo mittlerweile Hunderttausende die kleinen Gondeln jeden Tag nutzen. Dort gibt es ein richtiges Verkehrsnetz in der Luft. Der Erfolg ist nicht verwunderlich: Immerhin haben Seilbahnen enorme Vorteile: Sie können schnell Höhenmeter überbrücken, Wasserläufe passieren oder Abgründe überwinden, für die es sonst teure Brücken bräuchte. Dazu sind sie vergleichsweise emissionsarm, arbeiten nahezu lautlos und sind im Betrieb oft günstiger als andere Verkehrsmittel.
In europäischen und deutschen Städten glimmt deshalb, befeuert durch die Mobilitätswende, immer wieder die Hoffnung auf Seilbahnen als Lösung auf. Ein wirkliches Prestigeprojekt gibt es in Deutschland bisher nicht. Doch ändert sich das gerade?
Johannes Frech sieht die Seilbahn als alternativlos. Denn der Stadtverkehr droht zu stagnieren. Immer mehr Menschen wollen in Bonn arbeiten, wohnen, pendeln – und die klassische Verkehrsinfrastruktur aus Straßen, Brücken, Radwegen, Bahnen und Bussen kommt mit dem Wachstum der Stadt einfach nicht mehr mit. Bonn hat damit dieselben Probleme wie fast jede größere Stadt in Europa – und kaum Auswege aus der Verkehrsmisere. „Zusätzliche Busse oder eine höhere Taktung können das Verkehrsproblem allein nicht beheben“, erklärt Stadtbaurat Helmut Wiesner. Es gibt zu wenig Platz, um Busspuren und Straßenbahntrassen auszubauen. Der Luftraum über der Stadt wäre eine Ausweichmöglichkeit.
Die Lösung suchen Bonner Stadtplaner deshalb jetzt in eben dieser dritten Dimension. Auf 4,6 Kilometern soll die Seilbahn das Klinikum auf dem Venusberg direkt mit dem Campus des Telekom-Konzerns verbinden, der im an die Rheinaue angrenzenden ehemaligen Regierungsviertel liegt. Das Konzept ist aus Skigebieten bekannt: Die Gondeln hängen an einem Seil, alle paar Hundert Meter steht ein rund 30 Meter hoher Mast, 20 Minuten soll die Bahn von einem zum anderen Ende brauchen und rund 15.000 Menschen quer über die ehemalige Bundeshauptstadt transportieren. Zu den Stoßzeiten morgens und abends sollen alle 95 Gondeln in Betrieb sein. Alle 20 bis 24 Sekunden könnte dann eine Kabine mit jeweils zehn Sitzplätzen starten. Zu weniger stark frequentierten Zeiten „kann man einige Gondeln ausklinken, um Energie zu sparen“, erklärt Stadtbaurat Wiesner.
Die Seilbahn soll also nicht nur die überlasteten Straßen und Bahnlinien in der Stadt entlasten, sondern auch die CO2-Emissionen nach unten drücken. Die Seilbahn könne jährlich rund zwölf Millionen Pkw-Kilometer einsparen und eine dringend benötigte Querverbindung über den Rhein schaffen. Das soll nicht nur die angespannte Verkehrssituation am Venusberg entschärfen, sondern auch Pendler dazu animieren, ihr Auto vor den Toren der Stadt stehen zu lassen – oder direkt mit der Bahn zu kommen. Rund 100.000 Beschäftigte pendeln täglich in die ehemalige Bundeshauptstadt – ein Großteil davon ins UN-Viertel und auf den Venusberg. „Die Seilbahn macht nur Sinn, wenn sie an den öffentlichen Personennahverkehr angebunden ist und nicht im luftleeren Raum endet“, sagt Wiesner. Drei der fünf Stationen sind direkt an den Schienenverkehr angebunden, darunter auch an die S-Bahn-Linie 13, die Bonn ab 2030 direkt mit dem Flughafen verbindet.
Doch nicht jeder findet die Vorstellung von so viel Verkehr im Luftraum über der Stadt beflügelnd. In der Bonner Stadthalle steht eine dunkelblaue Pinnwand, an der die Bürgerinnen und Bürger auf orangefarbenen Klebezetteln ihre Meinung zur Seilbahn kundtun können. „Hätten Sie gern eine Seilbahn über ihrem privaten Garten?“, steht da auf einem der Zettel geschrieben. Dass die Seilbahn in Wirklichkeit fast nur öffentlichen Grund passiert, lässt der Schreibende außer Acht. Einzig das Gelände der Telekom wird von der Seilbahn überflogen – und die hat längst zugestimmt. Auf den anderen Zetteln hagelt es noch mehr Kritik: Das Projekt sei zu teuer, der schöne Venusberg werde verschandelt, die Kosten-Nutzen-Untersuchung sei mangelhaft.
Auch die Bürgerinitiative „Bonn bleibt Seilbahnfrei“ schießt scharf gegen das Infrastrukturprojekt. Einige Argumente der Gegner: Die Seilbahn entlaste den Verkehr kaum, schade der Umwelt, verursache hohe Kosten und sei ohne echten Nutzen für die Bonner Bürger. Welches Argument Stadtbaurat Wiesner am meisten Sorgen macht? „Gar keins“, sagt er selbstsicher. Am Ende, ist er überzeugt, werden die Vorteile der Seilbahn überwiegen.
In den kommenden Monaten will die Stadt Bonn den Beweis für diese Sicht der Dinge antreten und zahlreiche Gutachten in Auftrag geben, die für das Planfeststellungsverfahren benötigt werden: unter anderem eine Umweltverträglichkeitsstudie, ein geologisches Gutachten des Venusbergs, eine Windmessung und eine Untersuchung der Lärmbelastung. 2023 will Wiesner einen Antrag zum Bau einreichen, die Prüfung dauert dann weitere zwei Jahre. Die Ergebnisse der Gutachten sollen Kritiker besänftigen und sie möglichst von den Vorteilen einer Seilbahn überzeugen.
Das ist wichtig, denn zum Planfeststellungsverfahren gehört auch, dass jeder Betroffene gegen das Projekt klagen kann. Um möglichst viele Einsprüche schon im Vorfeld abzufangen, setzt die Stadt auf Bürgerdialog. Die Pinnwand im Foyer der Stadtverwaltung gehört genauso dazu wie Informationsveranstaltungen und Fragerunden. „Man muss die Gegner ernst nehmen und schauen, was an ihren Argumenten dran ist“, sagt Wiesner. „Wenn wir keine Antworten auf die Vorwürfe geben können, bekommen andere wahrscheinlich auch Zweifel.“
Johannes Frech steht immer noch auf dem Spielplatz. Angesichts der kritischen Gegenstimmen kann er nur den Kopf schütteln. Er zeigt Richtung Venusberg: „Wind ist zum Beispiel ein Dauerthema. Aber erst bei Windgeschwindigkeiten ab 60 km/h wird es problematisch, und so doll weht es hier selten.“
In Mexiko-Stadt würde Victor Jasso darüber vermutlich nur lachen. Er sitzt in einer der blitzsauberen blauen Kabinen, die lautlos über die Hausdächer eines Armenviertels der Metropole schweben. Das gilt als unsicheres Pflaster, doch 20 Meter über dem Boden ist die Gefahr weit weg. Jasso ist ein stämmiger Mann mit angegrautem Vollbart und einem festen Händedruck. Keiner, der Luftschlösser baut, sondern der mitverantwortlich dafür ist, dass hier eines der interessantesten Infrastrukturprojekte der Welt steht.
Mexiko-Stadt hat eines der größten Seilbahnnetze Lateinamerikas. Die Seilbahn ist eine wichtige Ergänzung des städtischen Verkehrsnetzes der 20-Millionen-Metropole. Hauptverkehrsmittel ist die Metro. Deren Linien wurden sternförmig vom Zentrum aus in die Peripherie gebaut. Von dort geht es meist mit Diesel-Minibussen weiter. Die Seilbahnen verbinden nun unter anderem Endstationen dieser U-Bahn-Arme miteinander – und zwar deutlich leiser, schneller und klimafreundlicher als die Busse. Pionier war die Linie 1 im Norden der Stadt. Zunächst gab es viele Bedenken und Widerstände, doch inzwischen hat sich die Gondel bewährt und wurde von der Bevölkerung akzeptiert. Eine zweite Linie wurde bereits in Betrieb genommen und weitere Linien sollen folgen.
Einfacher als in Bonn ist der Bau in Mexiko-City dabei sicherlich nicht – im Gegenteil. Das Gebiet wird regelmäßig von Erdbeben heimgesucht, dazu haben die Bauarbeiter mit verschiedenen geologischen Formationen zu kämpfen. Da gibt es Vulkangestein, Sandböden und die wegen ihrer Statik so gefürchteten Sumpfböden, die verantwortlich dafür sind, dass viele der Bauten in der mexikanischen Hauptstadt jedes Jahr um ein paar Millimeter im Boden versinken. Und dann entstehen die Seilbahnen nicht in einer unbewohnten Berglandlandschaft, sondern inmitten einer Megacity mit eng besiedelten Bereichen und Armenvierteln, in denen sich enge Straßen durch verschachtelte Häuserlabyrinthe winden und die Kriminalitätsrate hoch ist.
Entsprechend groß ist die Herausforderung. „Das Aufstellen der bis zu 40 Meter hohen Pfeiler war ein logistischer Alptraum“, erinnert sich Jasso. Aber es lohnt sich, ehemals abgeschottete und vernachlässigte Stadtviertel haben von der Seilbahn profitiert. Studenten gelangen schneller und sicherer in die Universität, alte Menschen brauchen nicht mehr so lang ins nächste Hospital. Für die Menschen gibt es ein Leben vor und eines nach der Seilbahn. Das danach gefällt ihnen wesentlich besser.