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DAS NETZWERK UNTER UNSEREN FÜSSEN

—— Pilze und Bäume gehen seit Millionen von Jahren Partnerschaften ein und tauschen Ressourcen miteinander aus. Für Bäume sind diese Netzwerke überlebenswichtig – das Verhalten der Pilze gibt der Wissenschaft aber bis heute Rätsel auf.

Foto Wurzelvernetzung

TEXT KATRIN BRAHNER
FOTO GETTY IMAGES / HENRIK SORENSEN

Unter den Böden unserer Wälder existiert etwas, das zu den größten Lebewesen der Erde zählt. Sie können schwerer werden als ein Elefant oder ein Blauwal und sich über hunderte von Kilometern erstrecken. Sie haben kein Gehirn, kein Herz, keine Augen und dennoch sind sie so etwas wie die Lebensversicherung eines Waldes: Die Rede ist von sogenannten Mykorrhizen. Der Name geht auf die altgriechischen Begriffe "mykes" (=Pilz) und "rhiza" (=Wurzel) zurück und bezeichnet eine Form des Zusammenlebens von Pilzen und Bäumen. Genauer gesagt ist es ein riesiges unterirdisches Netzwerk, das Bodenpilze bilden, indem sie ihre mikrometerkleinen Fäden von Baumwurzel zu Baumwurzel spannen.

DICHT GESPANNTE NETZE

Einer, der sich schon viele Jahre mit diesen Lebewesen beschäftigt, ist François Buscot. Er ist Leiter des Department Bodenökologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig und Inhaber des gleichnamigen Lehrstuhls an der Universität Leipzig. „Unter einem Quadratmeter Waldboden verlaufen mehrere hundert Kilometer von Pilzfäden. Gerade in den ersten 20 bis 30 Zentimetern unter dem Boden ist dieses Netzwerk sehr dicht“, sagt er. Die Pilzfäden bilden dabei eine Verlängerung der Baumwurzeln und sehen ein bisschen so aus wie Spinnennetze. Obwohl die einzelnen Fäden nur zwei bis 100 Mikrometer groß sind, also teilweise mit bloßem Auge nicht einmal sichtbar, kann eine ganze Mykorrhiza immense Ausmaße annehmen: „In Kanada haben Forschende ein Pilznetzwerk entdeckt, dessen Fäden mehrere hundert Tonnen auf die Waage gebracht haben“, so Buscot.

VON DEM NETZWERK PROFITIEREN ALLE

Diese unterirdische Partnerschaft hat für beide Seiten Vorteile. Die Pilze versorgen die Bäume über ihre feinen Fäden mit Nährstoffen wie Stickstoff und Phosphor sowie Wasser aus dem Boden. Den Großteil dieser Ressourcen könnten die Bäume allein über ihre Wurzeln überhaupt nicht erreichen. Im Gegenzug dazu bekommen die Pilze Produkte der Fotosynthese, vorwiegend in Form von Glucose, also Zucker. Die brauchen sie, um zu wachsen. Darüber hinaus filtern die Pilze giftige Schwermetalle wie Blei, Cadmium, Nickel, Quecksilber oder Chrom aus den Bodennährstoffen und schützen die Pflanzenwurzeln so vor den Toxinen.

Auch für Bäume untereinander hat das Netzwerk Vorteile: „Man hat festgestellt, dass die Fotosyntheseprodukte älterer Bäume über die Pilzfäden an kleinere Bäumchen, die im Schatten liegen, abgeben werden. Da spricht man von Nursing“, erklärt Buscot. Gleichzeitig funktioniert das Netzwerk auch als eine Art Frühwarnsystem vor Schädlingen wie blattfressenden Insekten. „Wird ein Baum von Parasiten befallen, bildet er Stressmoleküle, zum Beispiel Absicinsäure. Dieses Molekül wird über die Pilzfäden an die umliegenden Bäume verteilt. Damit sind sie gewarnt und können sich auf einen möglichen ‚Angriff‘ vorbereiten, indem sie ihre Abwehrmechanismen hochfahren“, so Buscot. Durchschnittlich lebt ein Baum mit rund 20 bis 30 verschiedenen Pilzarten zusammen – jede davon hat ihre eigenen Stärken. Manche Pilze sorgen eher für die Versorgung mit Nährstoffen, andere sind eher auf die Verteilung der Stressmoleküle spezialisiert.

ZWEI TYPEN VON MYKORRHIZEN WERDEN UNTERSCHIEDEN

In einer Mykorrhiza werden auch Bäume unterschiedlicher Arten miteinander vernetzt – vorausgesetzt, sie sind mit den gleichen Pilzen kompatibel. Grob lassen sich im Wald zwei Haupttypen unterscheiden: die ektomykorrhizalen Pilze und die arbuskulären Mykorrhizapilze. Sie verbinden sich auf unterschiedliche Art und Weise mit den Baumwurzeln.

Ektomykorrhizale Pilze bilden einen dichten Mantel um die Feinwurzeln der Bäume und wachsen dann in deren Wurzelrinde hinein. Sie gehen seit rund 130 Millionen Jahren Partnerschaften mit Pflanzen ein. Rund 15.000 bis 20.000 Pilzsorten fallen in diese Kategorie, darunter so berühmte Vertreter wie der Steinpilz, der Trüffel oder der Fliegenpilz. Die meisten Bäume in Wäldern gemäßigter Regionen bilden eine Partnerschaft mit Pilzen aus dieser Gruppe, so zum Beispiel Fichten, Eichen, Buchen, Weiden, Ulmen, Kiefern und Tannen.

Die arbuskulären Mykorrhizapilze sind schon seit 460 Millionen Jahren auf der Erde. Sie bilden keinen Mantel um die Feinwurzeln der Bäume, sondern dringen direkt in sie hinein, bis in die äußere Pflanzenzelle. Um sich im Boden weiter auszubreiten, sind diese Pilzarten zunächst auf den Zucker der Bäume angewiesen. Erst wenn sie sich vollständig mit der Wurzel verbunden haben, bilden sie ihr Netzwerk aus. Es gibt nur wenige hundert Pilzsorten, die dieser Kategorie angehören. Dafür können sie aber mit rund 80 Prozent aller Landpflanzen eine Verbindung eingehen. Auch einige Bäume sind darunter, zum Beispiel Pappeln, Ahorne und Eschen.

DAS VERHALTEN DER PILZE WIRFT FRAGEN AUF

Was Forschenden bis heute ein Rätsel aufgibt: Wieso bilden die Pilze diese Netzwerke überhaupt? Denn zumindest ektomykorrhizale Pilze sind nicht auf das Bündnis mit den Bäumen angewiesen – sie könnten auch ohne sie im Boden überleben. Arbuskuläre Pilze brauchen die Bäume zwar zu Beginn, aber auch sie könnten einfach den Zucker aus den Wurzeln abzapfen, ohne später Nährstoffe im Netzwerk zu verteilen. Und: Woher wissen die Pilze eigentlich, wie sie die Ressourcen aufteilen müssen? Also welcher Baum mehr Nährstoffe zur Verfügung hat und welcher Unterstützung benötigt? „Darauf gibt es noch keine Antwort“, sagt François Buscot. „Wir wissen nicht, was der Pilz davon hat, die Bäume miteinander zu vernetzten, wir wissen nur, dass er es tut.“

Hinzu kommt: Der Austausch im Netzwerk ist nicht immer ausgeglichen, sprich die Partnerschaft lohnt sich für die Pilze phasenweise nicht einmal wirklich. Das trifft beispielsweise auf die Nacht zu, wenn die Bäume keine Photosynthese betreiben. Im Winter, wenn die Bäume keine Blätter haben, entsteht auch ein Nachteil. „Dann arbeiten die Pilze quasi ohne Bezahlung, sie bekommen keinen Zucker“, sagt Buscot. Und dennoch: In der Natur gibt es keine Wälder ohne Mykorrhizen, Pilze und Bäume finden immer zueinander. „Wir haben in einem Experiment Bäume in Böden gepflanzt, die vorher landwirtschaftlich genutzt wurden. In diesen Böden sind keine Pilze vorhanden. Als wir wenige Wochen später die Wurzeln untersucht haben, fanden wir Mykorrhizen daran. Wahrscheinlich sind die Pilze über die Luft angeflogen gekommen“, erzählt Buscot.  

DIE NETZWERKE STÄRKEN DIE WÄLDER

Ohne diese unterirdischen Netzwerke, das riesige Lebewesen, hätten es Wälder wahrscheinlich nie geschafft, sich auf der Erde auszubreiten, sagt Buscot. Ob Wälder ohne die Mykorrhizen überhaupt überleben könnten, ist noch nicht ausreichend erforscht. Fest steht: Die Netzwerke machen die Wälder stärker und resistenter gegenüber Trockenheit und Schadstoffen im Boden. Mit Blick auf den Klimawandel ist das ebenso wichtig wie für den Menschen selbst. Denn wer im Herbst durch den Wald läuft, kann im wahrsten Sinne des Wortes die Früchte der unterirdischen Netzwerke sammeln. Und zwar in Form der Pilzköpfe, die aus dem Boden sprießen. Die Pilze sind nun in der Lage Fruchtkörper zu bilden, weil die Bäume ihre Blätter verlieren und dann all ihre Nährstoffe in den Boden pumpen. Sie geben also noch einmal alles, bevor sie sich in die Winterpause verabschieden – und die Pilze bis zum Frühling wieder eine ganze Weile ohne „Bezahlung“ arbeiten.

FRANÇOIS BUSCOT

 

ist 1988 nach dem Studium und der Promotion in Pflanzenbiologie in Straßburg nach Deutschland gekommen. Für den gebürtigen Franzosen folgten Positionen in Braunschweig, Jena, Leipzig und Halle, darunter mehrere Professuren. Heute leitet er das Department Bodenökologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig und ist Inhaber des gleichnamigen Lehrstuhls an der Universität Leipzig.

 

Das Hauptinteresse seiner Forschung besteht darin, die Vielfalt der Pilze und Bakterien mit der Bodenfunktion, der Pflanzenvielfalt und der Intensität der Landnutzung im Kontext des beschleunigten globalen Wandels in Verbindung zu bringen. Ein zweiter Bereich betrifft die Mechanismen, die dem Zusammenspiel zwischen der Entwicklung von Bäumen und ihren ökologischen Wechselwirkungen zugrunde liegen.

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