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WIE ARTENSCHUTZ DER WIRTSCHAFT HELFEN KANN

—— Weltweit geht die Artenvielfalt zurück. Schuld sind der Klimawandel und die Ressourcenausbeutung. Für die Menschheit ist das gefährlich, und wirksame Gegenmaßnahmen sind bisher Mangelware. Was können Unternehmen tun?

Blumenwiese unter blauem Himmel.

Es sind schockierende Zahlen, die der Weltbiodiversitätsrat 2019 vorgestellt hat: Eine Million Tier- und Pflanzenarten sind weltweit vom Aussterben bedroht. Und zwar nicht in hundert oder zweihundert Jahren, sondern innerhalb der nächsten Jahrzehnte. Schuld daran ist vor allem der Mensch. Sowohl die Erderwärmung als auch Ressourcenausbeutung drohen die Artenvielfalt weltweit massiv zu reduzieren.

Für die Menschheit ist das ein Problem. Denn die Zerstörung von Biodiversität und Artenvielfalt gefährdet weltweit Leben und Gesundheit. Nahrungsmittel, Rohstoffe oder sauberes Trinkwasser werden schwieriger zugänglich, wenn Ökosysteme aus dem Gleichgewicht geraten. Natürliche Schutzeinrichtungen wie etwa Mangrovenwälder, die vor Überflutungen schützen, verschwinden. Der Naturschutzbund (Nabu) hat gemeinsam mit der Unternehmensberatung BCG ausgerechnet, wie viel Mehrwert die Menschen aus den sie umschließenden Ökosystemen ziehen. In einer Studie kamen sie auf 170 bis 190 Billionen US-Dollar, was etwa doppelt so viel wie das globale Bruttoinlandsprodukt ist.

Wirklich viel thematisiert wird der Schaden, den die Biodiversität durch die Wirtschaft nimmt, bisher nicht. „Die Gesellschaft und die großen Protestbewegungen fokussieren sich eher auf das Klima“, beklagt Magdalene Trapp. Sie ist Referentin für Biodiversität beim Nabu und hat an der Studie mitgearbeitet. Ein Problem sei, dass sich Ökosysteme und ihre Veränderungen nicht auf wenige Variablen herunterbrechen lassen. „Beim Klima ist das 1,5-Grad-Ziel sehr klar, es lässt sich auf einzelne Sektoren herunterbrechen“, so Trapp. Bei der Biodiversität seien sich oft selbst die Experten nicht einig, welche objektiven Kriterien man für deren Rückgang anlegen könnte.

Entsprechend schwierig ist es, klare Vorgaben aufzustellen. Ein Zertifikatehandel wie beim CO2-Austausch ist zum Beispiel kaum möglich. Zwar gibt es bereits seit 1993 einen internationalen Vertrag, dem 196 Staaten beigetreten sind, doch an der Umsetzung dieses Übereinkommens über die biologische Vielfalt hapert es. 2010 einigten sich die Vertragsstaaten auf die sogenannten Aichi-Ziele, benannt nach dem Tagungsort ihrer Konferenz in der gleichnamigen japanischen Präfektur. Bis 2020 sollte unter anderem die Bekämpfung des Artenschwundes, der Schutz von Ökosystemen und die Förderung nachhaltiger Nutzungsformen verbessert werden. Doch 2020 musste das zuständige Sekretariat in einem Bericht einräumen, dass keines der Ziele erreicht wurde. Nun laufen die Arbeiten an einer Nachfolgevereinbarung. „Diese Ziele bringen aber natürlich nur etwas, wenn sie umgesetzt werden“, mahnt Trapp. Da seien die einzelnen Länder in der Verantwortung.

Auch auf niedrigerer Ebene steht das Thema Biodiversität scheinbar nicht weit oben auf der Agenda. Die EU hat in ihrer neuen Gemeinsamen Agrarpolitik wenig neue Vorgaben erlassen, um Biodiversität zu erhalten, kritisiert Trapp. „Dabei wäre es wichtig, biodiversitätsschädigende Anreize abzuschaffen“, sagt sie. Gerade Landwirte müssten befähigt werden, nicht immer die kostengünstigste Variante zu wählen, damit sie Produkte herstellen können, welche die Natur nicht zerstören und trotzdem bezahlbar sind. Dieser Spardrang resultiert heute etwa in monokulturellem Ackerbau, was wiederum der Artenvielfalt schadet.

Ähnliche Mechanismen müssten bei Verbrauchern greifen, die heute für umweltverträgliche Produkte oft noch mehr zahlen müssen als für die Alternativen. Doch vielen ist gar nicht bewusst, welche Auswirkungen schon das Verschwinden einer einzigen Art auf die Produktpalette hat. Ein Discounter in Hannover versuchte 2018, mit einer ungewöhnlichen Aktion darauf aufmerksam zu machen. Die Mitarbeiter entfernten alle Produkte, die es ohne Bienen nicht mehr geben würde. Obst, Kaffee, Fertigprodukte, Tiefkühlkost: Die Regale waren mit einem Mal ziemlich leer.

„Man darf die Verantwortung für das Thema nicht allein beim Konsumenten abladen.“

Magdalene Trapp, Referentin für Biodiversität beim Nabu

„Man darf die Verantwortung für das Thema nicht allein beim Konsumenten abladen“, sagt Expertin Trapp. Trotzdem könne dieser zum Beispiel über entsprechende Zertifikate darauf achten, keine Produkte zu kaufen, die auf Kosten der Artenvielfalt produziert werden. „Letztendlich ist auch hier Aufklärung wichtig, weil vielen Menschen gar nicht klar ist, wie viele Produkte durch ihre Wertschöpfungskette zum Artenschwund beitragen.“

Viele Unternehmen haben das erkannt. Das Handelsunternehmen Otto Group etwa schaut bei der Produktion von Holzmöbeln sehr genau hin. Die Einkäufer der Firma sind verpflichtet, bei der Beschaffung des Holzes darauf zu achten, keine bedrohten Holzarten oder Produkte aus Raubbau zu kaufen. Auch der Schreibwarenhersteller Faber-Castell achtet darauf, aus welchen Quellen das Holz für seine Stifte stammt und kauft nur aus zertifiziertem Anbau.

Biodiversitätsmanagement muss dabei nicht zulasten der Wirtschaftlichkeit gehen. Im Gegenteil: HeidelbergCement managt zum Beispiel die Artenvielfalt im Umfeld ihrer Abbaustellen bereits, während diese aktiv sind. So spart  die Firma Geld für die Rekultivierung. Für manchen Konzern kann ein gezieltes Biodiversitätsmanagement sogar Risiken für die eigene Versorgung mindern. Der Süßwarenhersteller Mars etwa setzt sich dafür ein, dass rund um seine Kakaoplantagen Bäume und eine vielfältige Pflanzenvegetation bestehen bleiben. Der Grund: Die Kakaopflanzen brauchen den Schatten größerer Gewächse. So sichert das Unternehmen mit Artenschutz den eigenen Rohstoffnachschub.

Hinzu kommen Imagegewinne für die Firmen, die allerdings nicht immer einfach zu messen sind. Im Idealfall können Unternehmen ihre Biodiversitätskampagnen mit der eigenen Marke verknüpfen. Ein Beispiel ist der Reinigungsmittelhersteller Werner & Mertz. Seine bekannteste Marke „Frosch“, unterstützt zum Beispiel europaweit die Renaturierung von Flussauen. Der Effekt: Die örtlichen Froschpopulationen werden gestärkt.

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