Das Zukunftsmagazin von TÜV SÜD

„WIR SIND EIN UNTERNEHMEN, DAS VIELFALT LEBT“

—— Ist Vielfalt ein Wert an sich? Ja, sagt TÜV SÜD-Vorstandsvorsitzender Axel Stepken. Ein Gespräch über die Vorteile vielfältiger Teams, die Förderung von Diversität und über Werte, die bei aller Vielfalt nicht verhandelbar sind.

Portrait von Axel Stepken, der in einem Stuhl sitzt, ein schwarzes Jacket trägt und über die Schulter lächehelt.lt

TEXT JÖRG RIEDLE
FOTO THOMAS DASHUBER

Herr Stepken, lassen Sie uns über Vielfalt reden. Der Begriff ist in den vergangenen Jahren zu einem Megathema in Gesellschaft und Politik geworden. Für viele Unternehmen ist es aber schon seit Jahrzehnten ein Ziel, möglichst vielfältig zu sein. Ist die Wirtschaft hier Vorreiter einer gesellschaftlichen Entwicklung?
———— Ich denke, das geht Hand in Hand. In den meisten europäischen Staaten, den USA, aber auch in Asien wurde in den vergangenen Jahren intensiv über Vielfalt debattiert – und viele Gesellschaften sind tatsächlich deutlich offener geworden. Der Prozess hat aber schon vor Jahrzehnten eingesetzt, als Folge gesellschaftlicher Entwicklungen. So ist das sicher auch in Unternehmen: Ich bin seit fast 20 Jahren Mitglied des Vorstands von TÜV SÜD. Das Unternehmen war damals sehr weit weg von der Bedeutung von Vielfalt, wie wir sie heute haben. Ich muss allerdings gestehen, dass ich damals nicht in erster Linie angetreten bin, um mehr Diversität zu schaffen, sondern um das Unternehmen zu internationalisieren. Damit kam mehr Vielfalt quasi automatisch zu uns: Menschen mit unterschiedlichen Sprachen und aus unterschiedlichen Kulturen spielten auf einmal eine Rolle. Plötzlich drehte sich nicht mehr alles nur um unser Ursprungsland Deutschland. Das gab uns einen großen Schub in puncto Vielfalt, der bis heute anhält.
Was verstehen Sie unter Vielfalt?
———— Wir bei TÜV SÜD und ich persönlich verstehen darunter die ganze Bandbreite dessen, was Menschen mitbringen und was sie ausmacht: Geschlecht, Identität, Herkunft, Religion, Alter, sexuelle Orientierung – und so weiter. Sie alle wollen wir im Unternehmen haben, weil wir der Meinung sind, dass eine solche Vielfalt uns alle voranbringt.
Ist Vielfalt ein Wert an sich?
———— Ja, und ich denke, diese Einschätzung ist die große Veränderung, die wir in den vergangenen Jahren erlebt haben. Wir glauben, dass vielfältige Teams kreativer zusammenarbeiten, bessere Lösungen finden bei sich immer schneller verändernden Rahmenbedingungen und insgesamt besser auf unsere ebenfalls sehr vielfältigen Kunden eingehen können. Damit möchte ich übrigens nicht die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen aus der Vergangenheit schmälern. Aber ich denke, dass in einer veränderten, immer diverseren Gesellschaft auch die Teams, die für diese Gesellschaft arbeiten, vielfältiger werden müssen.
Muss Vielfalt gezielt gefördert werden?
———— Ja. Wir wollen die besten Köpfe und die fähigsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei TÜV SÜD versammeln – unabhängig davon, wie sie aussehen, woher sie kommen oder welches Geschlecht sie haben. Früher war Vielfalt quasi ein Nebenprodukt und wir dachten, dass dieser Anspruch automatisch ein Höchstmaß an Diversität im Unternehmen erzeugt. Dies ist tatsächlich bis zu einem gewissen Grad der Fall – aber echte Vielfalt müssen Sie aktiv angehen und fördern.
Wie sieht eine solche Förderung aus?
———— Wir bringen beispielsweise gezielt Menschen aus anderen Kulturkreisen und Herkunftsländern in Führungspositionen – auch im Gesamtkonzern – und haben dazu Förderprogramme aufgesetzt. In unserer internen Talentidentifizierung und -entwicklung spielt Vielfalt auch eine immer größere Rolle, um beispielsweise Frauen in Führungspositionen zu unterstützen oder High Potentials in regionalen und globalen Entwicklungsprogrammen zu fördern. Vor einigen Wochen haben wir unsere virtuelle Strategiekonferenz abgehalten. Die bunte Mischung von Menschen aus verschiedenen Nationen und mit unterschiedlichem Background war beeindruckend und zeigt, dass wir schon einen großen Schritt vorangekommen sind. Auch einer unserer drei Vorstände ist ja Amerikaner, der in Indien geboren ist. Wir haben – teils vom Konzern initiiert, teils aufgrund von Eigeninitiativen – verschiedenste Netzwerke für Kolleginnen und Kollegen im Unternehmen, die wir unterstützen, beispielsweise zu den Themen Gender und sexuelle Orientierung. Wir sind aktives Mitglied verschiedener Initiativen und haben uns schon vor Jahren zur Charta der Vielfalt bekannt. Und wir arbeiten aktuell aktiv daran, das Thema Vielfalt noch stärker in unseren Recruitingprozess zu integrieren.
Wie sieht das aus?
———— Aufgrund unseres internationalen Wachstums muss es einfach gelingen, ein möglichst breites Feld von Menschen für eine Arbeit bei TÜV SÜD zu interessieren. Wir müssen unsere Recruitingprozesse also so gestalten, dass sich möglichst viele unterschiedliche Menschen in ihrer ganzen Vielfalt bei uns bewerben und dass sie auch eine Chance haben, genommen zu werden. Das fängt ganz banal mit der Formulierung von Stellenanzeigen an oder der Art und Weise, wie wir auf Veranstaltungen auftreten und wo wir nach Bewerbern suchen. In der Folge müssen wir Bewerbungsprozesse so gestalten, dass die letztendliche Entscheidung ausschließlich auf Basis der fachlichen Eignung getroffen wird.

Was bedeutet das konkret?
———— Nehmen Sie einen Aspekt von Vielfalt, der vor allem in Deutschland eine große Rolle spielt: das Geschlecht. In vielen Bereichen gibt es zwangsläufig weniger Frauen, die sich für eine Arbeit bei TÜV SÜD interessieren, einfach weil zum Beispiel mehr Männer als Frauen Maschinenbau mit Richtung Fahrzeugtechnik studieren. Das ist nun einmal so. Wir wollen aber, dass sich bei der Suche nach Sachverständigen Frauen und Männer gleichermaßen angespochen fühlen und ausschließlich die fachliche Eignung zählt. Dazu müssen unsere Führungskräfte gezielt Frauen in den gesamten Bewerbungsprozess bringen.

„Wir glauben, dass vielfältige Teams kreativer zusammenarbeiten, bessere Lösungen finden bei sich immer schneller verändernden Rahmenbedingungen und insgesamt besser auf unsere ebenfalls sehr vielfältigen Kunden eingehen können.“

Prof. Dr.-Ing. Axel Stepken
Gibt es Augenblicke, in denen Vielfalt an ihre Grenzen gerät?
———— Eigentlich nicht. Natürlich gibt es Einzelkriterien, bei denen es nicht leicht ist, für Vielfalt zu sorgen. Ich hatte das Beispiel von Frauen im Bereich der Fahrzeugprüfungen genannt. Das darf uns aber nicht davon abhalten, weiter an mehr Vielfalt zu arbeiten.
TÜV SÜD ist ein internationales Unternehmen, in fast 50 Ländern haben wir Niederlassungen. Ist Diversität hier überall gleich wichtig?
———— Diesen Anspruch haben wir. Jedem Menschen, der bei uns arbeitet, egal aus welchem Land und welcher Kultur, muss klar sein, dass wir keine Diskriminierung in irgendeiner Form dulden. Ich gebe aber zu, dass Diversität in unterschiedlichen Kulturen verschieden gesehen wird. Beispielsweise spielt in Deutschland das Thema Gender eine große Rolle, in anderen Ländern eher die Religionszugehörigkeit oder die Hautfarbe. Das müssen wir akzeptieren, denn auch dies ist ein Aspekt von Vielfalt: nicht unsere mitteleuropäische Sichtweise überall durchsetzen zu wollen oder vorauszusetzen – sondern daran zu arbeiten, Verständnis zu schaffen.
Wir haben darüber gesprochen, wie wichtig Vielfalt ist. Gibt es auch Bereiche, in denen wir Homogenität fördern?
———— Nicht bezüglich der Menschen, die bei uns arbeiten. Aber ja, es gibt bestimmte Sachthemen, bei denen wir keine Vielfalt dulden können. Nämlich immer dann, wenn es um Qualität, unsere Neutralität oder um korrektes Verhalten geht – also bei all den Grundfesten unseres Unternehmens. Und es gibt auch nur eine technische Wahrheit. Alle Menschen, die bei uns arbeiten, so unterschiedlich sie auch hoffentlich sind, müssen diesen eindeutigen Werten zustimmen. Das ist vielleicht auch die große Herausforderung in einem so vielfältigen Unternehmen wie TÜV SÜD: immer wieder darauf hinzuweisen, dass es Werte gibt, bei denen alle gleich denken und handeln müssen. Trotz aller Vielfalt!

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