Das Zukunftsmagazin von TÜV SÜD

DIE WAHRE WIEGE DER WIRTSCHAFT

—— Die Kreislaufwirtschaft gilt als große Vision für eine nachhaltige Wirtschaft. Einzelne Projekte zeigen, was möglich ist. Doch warum setzt sich die Wirtschaftsordnung bisher nicht durch?

Dreidimensionale Spirale mit Kugel im Zentrum und Farbverlauf

TEXT NILS WISCHMEYER

An einem Apriltag im Jahr 1956 hat die neue Weltwirtschaft symbolisch begonnen. Malcom Mc­Lean hatte sich durchgesetzt und so lief das völlig umgebaute Schiff ­ „Ideal X“ an diesem Tag aus, beladen mit mehr als 50 rechteckigen Kisten. So oder so ähnlich zumindest muss es für die Hafenarbeiter ausgesehen haben, die dem Schiff von der Kaimauer hinterherschauten. Immerhin hatte man doch bisher das meiste in Ballen oder Säcken transportiert, nun veränderte sich alles: Malcom McLean hatte die Containerschifffahrt erfunden.

Diese Container stehen idealtypisch für den Beginn der Globalisierung, zu der rasante Entwicklungen gehörten: Die Logistikpreise sanken extrem, die weltweite Vernetzung stieg und die Menschheit begann erstmalig, völlig anders zu konsumieren. Zuvor war sie es lange gewohnt, Dinge zumindest wiederzuverwenden, zu reparieren oder so lange zu nutzen, bis sie endgültig unbrauchbar wurden. Über Jahrhunderte hinweg waren wertvolle Materialien wiederverwendet worden, statt sie einfach wegzuwerfen, wie Archäologen herausfanden: Die Antike war eine Recyclinggesellschaft. Glas zum Beispiel wurde immer wieder eingeschmolzen und wiederverwendet, aus alter Kleidung wurde später Papier hergestellt. Und die Bauwerke der Antike wurden im Mittelalter ganz selbstverständlich als Steinbrüche für neue Gebäude verwendet.

Der Rohstoffboom der Nachkriegszeit, mit billigem Erdöl, billiger Kohle und scheinbar unbegrenzten Ressourcen, brachte der Welt nicht nur ein nie gekanntes Wohlstandslevel. Er öffnete – zumindest in den westlich orientierten Marktwirtschaften – das Tor zur neuen Welt der Konsumgesellschaft. Mit ihr wurde es für die Wirtschaft ökonomisch sinnvoller, Rohstoffe nur einmal zu nutzen, statt sie zu recyceln. Das neue Mantra: Produzieren, benutzen, entsorgen.

DIE FIRMEN MÜSSEN UMDENKEN

Zweifel an dieser Wirtschaftsart gab es in der Vergangenheit durchaus. Bereits vor 50 Jahren, im Jahr 1972, veröffentlichte der Club of Rome seinen Bericht mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“. In diesem warnte er vor einer Gesellschaft, die nur auf Wachstum ausgelegt ist. Rohstoffe würden ebenso zur Neige gehen wie Umweltschäden zunehmen, warnten die Wissenschaftler unter anderem. Zwar bekam der Bericht eine Menge Aufmerksamkeit, doch trotz Ölpreisschocks und erwachendem Umweltbewusstsein in den 1970er-Jahren veränderte sich die Wirtschaft nicht grundlegend. Die Lösung des Verzichts war in einer Welt, in der die Grenzen des Wachstums nach wie vor unendlich schienen, nicht gangbar – weder für Unternehmen noch für Konsumenten. Die Grenzen des Wachstums wurden mithilfe von gesteigerter Produktivität, Forschung und hochtechnologisierten Explorationsmethoden immer weiter verschoben. Es schien, als könnte es ewig so weitergehen.

Bis jetzt. Denn in den vergangenen Jahren braute sich ein Sturm zusammen, erklärt Experte Henning Wilts vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie: „Zum Ersten steigen Kosten für Rohstoffe, was es sinnvoll machen kann, diese wiederzuverwenden, statt immer neu einzukaufen. Zum Zweiten wird es schwieriger, immer mehr Ressourcen zu akquirieren. Und zum Dritten gibt es in einigen Gesellschaften einen Druck auf Unternehmen, sich nachhaltiger aufzustellen.“

Unternehmen stehen damit vor einem Dilemma. Zurück vor die Zeit von Massenkonsum und Globalisierung können sich Unternehmen nicht katapultieren, ohne die Weltwirtschaft zum Einsturz zu bringen. Der reine Verzicht ist keine Lösung, schon gar keine ökonomisch sinnvolle für eine Weltwirtschaft, die auf Wachstum ausgelegt ist. Gleichzeitig kann es eine Fortführung der aktuellen Wirtschaftsform auf Dauer nicht geben. Wie also soll sie aus dem Dilemma herauskommen?

DIE BLAUPAUSE LIEGT SCHON IN DER SCHUBLADE

Ausgerechnet eine mittlerweile 20 Jahre alte Blaupause könnte den Weg in die Zukunft der Wirtschaft weisen, in der alle Zielkonflikte vereint sind: Ressourcenschonung, Umweltentlastung und weiterhin ein hohes Maß an Konsum und Verbrauch. Viele etablierte Unternehmen haben Ziele für sie ausgeschrieben, andere sehen in ihr großes Potenzial und der Chemiekonzern Covestro zum Beispiel will sein gesamtes Geschäftsmodell auf sie ausrichten. Die Rede ist von der Kreislaufwirtschaft in einer globalisierten Welt. Statt „produzieren, kaufen, wegwerfen“ sollen Produkte entstehen, die möglichst lange und oft wiederverwendet werden können: Die Menschen kaufen sie, nutzen sie und überlassen sie dann wieder der Wirtschaft, die aus den Teilen neue Produkte fertigt.

„Cradle to Cradle“, zu Deutsch „Wiege zu Wiege“, heißt das an die Neuzeit angepasste Modell, seit der deutsche Chemiker Michael Braungart und der amerikanische Architekt William McDonough es in einem gleichnamigen Bestseller beschrieben haben. Anfang der Nullerjahre skizzierten sie mit ihrer modernen Form der Kreislaufwirtschaft eine neue wirtschaftl­iche Ordnung, die eine ressourcenschonende Konsum- und Wohlstandsgesellschaft erlauben könnte. Bis heute werden aber noch immer nur 8,6 Prozent aller Rohstoffe weltweit in einen Kreislauf zurückgeführt.

Nur warum? Ein exemplarischer Blick auf drei Branchen und Projekte zeigt: Vieles wäre möglich, doch die Hürden sind hoch.

Seitenansicht eines erleuchteten Bürogebäudes am Wasser. Die Fasade besteht aus hellen Querstreben. Im Hintergrund steht ein anderes Bürogebäude.
EIN ROHSTOFFLAGER Das Bürogebäude The Cradle wurde in Holzhybridbauweise gebaut. Die Rohstoffe des futuristischen Baus können nach Jahren und Jahrzehnten wiederverwendet werden.

Projekt 1: Ein Haus als Rohstofflager

Einer, der fest an das Konzept der Kreislaufwirtschaft glaubt und dessen Umsetzbarkeit  in der Architektur beweisen will, ist Antonino Vultaggio. Er ist Senior Partner bei HPP Architekten und verantwortet in dieser Rolle eines der modernsten Bürogebäude der Welt. Aber kann man es überhaupt so nennen? Danach gefragt, lächelt der Architekt und spricht von einem Rohstofflager und Düsseldorfs  erstem Bürogebäude in Holz-hybridbauweise, das dort gerade entsteht.

Die Baubranche ist ein Paradebeispiel für eine Industrie, die mit einer Kreislaufwirtschaft viel verändern könnte. Die globalen Neubauten sind einer der Hauptverbraucher von Rohstoffen wie Sand oder Eisen und einer der größten Treiber von steigenden CO2-Emissionen. Entsprechend groß wäre das Einsparpotenzial. „Aber wir denken das bislang in der Bauindustrie ganz falsch“, sagt Vultaggio. „Gebäude werden einmal gebaut und die Rohstoffe danach nicht wiederverwendet. Das müssen wir ändern“, sagt der Architekt.

Sein aktuelles Projekt, das zu großen Teilen aus Holz besteht und den Namen The Cradle trägt, soll zeigen, wie es anders geht. Eigenen Angaben zufolge fallen beim Bau des modernen Hauses weniger Emissionen im Vergleich zu einem konventionellen Bürogebäude an. Es ist von Anfang an so konzipiert, dass die Bauteile möglichst langlebig sind – und es kann noch viel mehr: Der Besitzer kann das Gebäude in einigen Jahrzehnten komplett zurückbauen, ein Großteil der eingesetzten Rohstoffe kann wiederverwendet werden, weil sie nach ihrer Sortenreinheit und Giftfreiheit ausgewählt und reversibel miteinander verbunden werden. Das Glas beispielsweise könnten Bauarbeiter entnehmen, Firmen einschmelzen und wieder zu neuen Scheiben verarbeiten. Der genutzte Beton könnte in gutem Zustand eine neue Heimat in einem anderen Gebäude finden. Und dann ist da natürlich noch das Hauptelement Holz, bei dem die Gedankenspiele für eine zukünftige Verwendung am weitesten gediehen sind.

FIRMEN NEHMEN IHRE ROHSTOFFE ZURÜCK

Der Ablauf ist dabei relativ simpel: Eine Firma nimmt die aktuellen Holzteile, löst Stück für Stück die Verbindungen und ersetzt die Holzteile durch neue. Das Holz wandert dann zum Beispiel zur Herstellerfirma zurück, wo es je nach Zustand erneut genutzt werden kann, aufbereitet wird oder per Downcycling für andere Holzprodukte zum Einsatz kommt. Die Firma Derix, die das Holz für die Fassade liefert, hat sich beispielsweise bereiterklärt, es nach Ablauf der Gebrauchszeit zurückzunehmen, und plant, es für gleichwertige Produkte zu verwenden, also beispielsweise eine Fassade. „Schließlich sind unsere Bauteile so langlebig, dass sie auch noch viele Jahrzehnte nach ihrer Produktion verwendet werden können“, sagte Markus Steppler, Vertriebsleiter der Derix-Gruppe, beim Start des neuen Service. Einfach wird das aufgrund der vielen Unwägbarkeiten nicht. Es fehlt beispielsweise die Möglichkeit, die wiederverwendeten Teile zu zertifizieren oder zu prüfen, weil die Standards dafür heute noch nicht entwickelt sind. Auch die Höhe des Rücknahmepreises lässt sich heute nicht für Jahrzehnte im Voraus kalkulieren, weil diese stark von der dann noch vorhandenen Qualität oder auch der Marktsituation für Holz abhängen kann.

Damit die neue Bauweise möglich wird, haben HPP Architekten das Gebäude so entworfen, dass sich das Holz in Zyklen erneuern lässt. Die Bauelemente sind nach dem Konzept „Design für Demontage“ entworfen, sodass die Elemente durch reversible Verbindungen zusammengehalten werden. So lassen sich die Holzelemente Stück für Stück abtragen, zerstörungsfrei und ohne Rückstände beispielsweise von Klebstoff. „Die Oberflächen werden zum Beispiel meist nach sieben bis zwölf Jahren ausgetauscht“, sagt Vultaggio. Nicht weil die Oberflächen nicht mehr intakt wären, sondern weil die Menschen sich Veränderung wünschen. Nach 30 bis 35 Jahren kommt der Austausch der Fassaden und schließlich nach 80 bis 100 Jahren der Austausch des Rohbaus.

Möglich wird das auch, weil man bei The Cradle mit einem „Material Passport“ arbeitet. Er dokumentiert – ähnlich wie ein richtiger Pass für Menschen – die wichtigsten Merkmale der Materialien und Produkte, beispielsweise Gesundheitsklasse, CO2-Fußabdruck, Demontierbarkeit, Trennbarkeit und Rezyklierbarkeit. „Wir holen die Bauteile somit aus ihrer Anonymität und geben ihnen einen Wert“, sagt Vultaggio.

„Wir holen die Bauteile aus ihrer Anonymität und geben ihnen einen Wert.“

Antonino Vultaggio, Partner bei HPP Architekten

DIE BAUWIRTSCHAFT SCHÖPFT IHR POTENZIAL NICHT AUS

Anhand von The Cradle zeigen sich gleich drei Vorteile. Nummer 1: Der Bau produziert weniger CO2, was die Umwelt schont. Nummer 2: Das Gebäude hält für den Bauherrn seinen Wert oder kann ihn sogar steigern, beispielsweise wenn die Preise für die verbauten Rohstoffe steigen. Nummer 3: Für die Firma, die das Bauelement zurücknimmt, hat das den Vorteil, dass sie überhaupt oder womöglich sogar günstiger an knappe Ressourcen kommt, wenn diese in Zukunft noch teurer oder seltener werden sollten. Henning Wilts vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie sieht noch einen weiteren deutlichen Vorteil: „Die Firmen werden so deutlich unabhängiger von Importen oder Einkäufen.“ All das ist wichtig, um die Kreislaufwirtschaft erfolgreich zu machen. Denn ohne ökonomische Anreize wird sich eine Industrie kaum in diese Richtung bewegen.

„Doch es gibt noch mehr entscheidende Faktoren“, sagt Anette Müller. Sie war von 1995 bis 2011 Inhaberin des Lehrstuhls für Aufbereitung von Baustoffen und Wiederverwertung an der Bauhaus-Universität Weimar und ist heute Mitarbeiterin am Institut für Angewandte Bauforschung in Weimar. In den vergangenen Jahrzehnten, so sagt sie, habe die Politik versäumt, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu setzen. Dazu könnte etwa gehören, sich auf Standards zu einigen, wann welcher Baustoff für einen definierten Zweck wiederverwendet werden darf und wann nicht. Für die Bauwirtschaft hätten gleichzeitig monetäre Anreize gefehlt, sich mit dem Thema zu beschäftigen. 

Am Beispiel Bauwirtschaft zeigen sich neben den Vorteilen auch die Hürden der modernen Kreislaufwirtschaft: Sie ist gewissermaßen ein Henne-Ei-Problem. Wenn sich kein Unternehmen traut, als Vorreiter zu starten, kann das Modell nicht funktionieren. Gleichzeitig sind die anfänglichen Investitionskosten für den Pionier extrem hoch. Darüber hinaus fehlen politische Rahmenbedingungen, die es Unternehmen zumindest nicht unnötig erschweren, ihre neuen Ideen in die Tat umzusetzen. „Die Firmen wollen Rahmenbedingungen und die Politik hofft auf die Industrie – und diese Gleichung kann man nicht auflösen“, erklärt Kreislaufwirtschaftsexperte Wilts das Dilemma. Noch dazu kommt, dass das Thema nur funktionieren kann, wenn es international und über Branchengrenzen hinweg gedacht wird. Ohne die Chemie funktioniert es ebenso wenig wie ohne die Bauindustrie oder andere verarbeitende Branchen. „Und das ist natürlich ganz schwierig zu koordinieren, ähnlich wie beim Klimaschutz“, sagt Wilts. Aber schluss- endlich gebe es für das Problem nur eine unbequeme Lösung: Einer muss anfangen.

Collage aus 3 Bildern auf farbverlaufendem Hintergrund. Abgebildet sind unterschiedliche Stationen eines Sneakerfertigungsprozesses, der durch einen Roboter ausgeführt wird.
VON VORN Der Prototyp RUEI-01 ist von Beginn an so geplant, dass ein Roboter ihn Stück für Stück anhand einer digitalen Bauanleitung komplett auseinanderbauen kann – ohne Rohstoffe zu verlieren.

Projekt 2: Ein Schuh, den ein Roboter demontieren kann

Einer, der gern anfangen möchte, ist Maxwell Ashford. Der Designer hat einen Konzeptschuh entwickelt, der die Art der Herstellung grundlegend anders denkt. Bisher kommen die getragenen Sneaker in einer Anlage an, ohne dass die Mitarbeiter oder Maschinen dort die Bestandteile kennen. Dort würden die Schuhe geschreddert und die Teile anschließend mühsam sortiert, erklärt Designer Ashford. Das führe zu einer Menge Abfall, die sein Konzeptschuh RUEI-01 einsparen soll. Der Sneaker, ein Schuh mit weißer Sohle, grauer Materialoberfläche und neongelben Schnürsenkeln, unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht von den angesagten Schuhen in den Metro­polen der Welt. Auf den zweiten Blick aber ist er von Grund auf anders. Bereits in der Produktentwicklung folgt der Schuh einem wichtigen Prinzip der Kreislaufwirtschaft: Er wird so geplant, dass ein Kreislauf überhaupt möglich ist. Während viele Sneaker heute mit hochmodernen Klebern zusammengehalten und nur für den Einmalgebrauch produziert werden, ist der Konzeptschuh so konzipiert, dass die Bestandteile sich später einfach lösen lassen. Wie das aussieht, zeigt ein Demonstrationsvideo des Designers: Auf diesem greift ein Roboter der Firma ABB den Schuh, scannt den aufgedruckten QR-Code auf der Lasche und erhält darüber alle relevanten Informationen: Welche Materialien sind verbaut und wie lässt sich der Schuh wieder demontieren? Mit diesen Informationen beginnt der Roboter, die Schnürsenkel und die Lasche vom Schuh zu lösen und schließlich den ganzen Schuh auf diese Weise zu zerlegen. Die Materialien lassen sich so einfach vom Roboter in Boxen sortieren. Im Anschluss könnten Firmen die Materialien wieder in den Produktkreislauf bringen. So ist es einfacher, Ressourcen bei gleicher Qualität immer länger im Kreislauf zu halten, ohne sie für minderwertige Produkte nutzen zu müssen.

Dank modularer Bauweise ist es einfacher, Ressourcen bei gleicher Qualität im Kreislauf zu halten.

Collage aus drei Bildern auf einem farbverlaufenden Hintergrund. Abgebildet sind Aspekte chemischer Forschung – Proben, Mischungen und chemische Stoffe.
WUNDERMITTEL Jahrelang forschten zwei führende deutsche Chemiker an dem Alternativkunststoff, der zu 20 Prozent aus CO2 besteht – eine Weltsensation.

Projekt 3: CO2 als Kreislaufmaterial

Einer, der solche Ideen in industriellen Maßstäben denkt, ist Markus Steilemann. Der Chef von Covestro schwört seine Mitarbeiter seit Jahren darauf ein, dass sich sein Konzern auf die Kreislaufwirtschaft einstellen wird. Generell ist die gesamte Industrie ein wichtiger Bestandteil der potenziellen neuen Wirtschaftsabläufe. Ohne ihre Herstellungsverfahren oder auch das chemische Recycling sind viele moderne Stoffe, gerade wenn sie kompliziert zusammengesetzt sind, kaum wiederverwendbar.

Ingenieure der Firma basteln deshalb seit Jahren an neuen Produktlösungen, die chemische Verbindungen oder Abfallstoffe wieder in die Kreisläufe führen sollen. Eine der interessantesten Ideen: Cardyon. Das Produkt der Firma soll eine nachhaltigere Alternative zu Polyurethan-Kunststoffen sein. Diese Art von Kunststoffen ist in der Wirtschaft sehr beliebt, weil sie extrem flexibel ist und teils auch isolierend wirkt. Verwendet wird der Kunststoff unter anderem in Matratzen, Schuhen oder auch für einzelne Verpackungen im Supermarkt. Die Krux: Bisher werden die dafür notwendigen Kohlenstoffverbindungen aus Erdöl gewonnen, was ressourcenintensiv und umweltschädlich ist.

5.000 Tonnen Produktionskapazität hat Covestro für den neuartigen Kunststoff geschaffen: Kreislaufwirtschaft in groß.

Dr. Christoph Gürtler, Leiter der Katalyseforschung bei Covestro, und Prof. Dr. Walter Leitner, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion und Professor an der RWTH ­Aachen, haben über Jahre hinweg eine Möglichkeit gesucht, diese Kunststoffe grüner zu machen – und schließlich den Durchbruch erzielt. In einem neuen Verfahren beziehen sie CO2 aus einer angrenzenden Chemiefabrik, wo die Verbindung aus Kohlenstoff und Sauerstoff als Abfallprodukt anfällt. Von dort leiten sie das CO2 über ein Rohr in die eigens dafür geschaffene Produktionsanlage und verbinden es ebenda mit den herkömmlichen Kohlenstoffverbindungen.

Das klappt nur, weil die beiden Wissenschaftler einen Katalysator entdeckt haben. Katalysatoren sind Stoffe in der Chemie, die eine Reaktion auslösen und steuern können, gewissermaßen Vermittler zwischen zwei Stoffen sind. In diesem Fall suchten sie nach einem Stoff, der es möglich macht, das energetisch am Boden liegende CO2 an den übrigen Kohlenstoff zu heften. Einfach war das nicht, eher wie die Suche nach dem Stein der Weisen. Herausgekommen ist in der Forschung schlussendlich eine Art weißes Pulver, das es dem CO2 und dem Kohlenstoff aus den herkömmlichen Kohlenstoffverbindungen ermöglicht, sich zu neuen Ketten zu verbinden. So entsteht Polyol, ein Vorprodukt der Polyurethan-Kunststoffe. 20 Prozent des Kunststoffs bestehen so aus CO2. Anders als viele Pilotprojekte kommt das Verfahren heute schon in großem Maßstab zum Einsatz. Bei Covestro gibt es laut eigenen Angaben bis zu 5.000 Tonnen Produktionskapazität im Jahr für den neuartigen Stoff. Kreislaufwirtschaft geht eben auch in groß.

TÜV SÜD UND DIE KREISLAUFWIRTSCHAFT

Nachhaltige Textilien, recycelbare Verpackungen oder Elektronikartikel, die leicht repariert werden können: Der neue Geschäftsbericht von TÜV SÜD informiert über den ganzheitlichen Ansatz des Unternehmens, um Kunden beim Thema Kreislaufwirtschaft zu unterstützen. Ab 5. Mai 2022 online unter: geschaeftsbericht.tuvsud.com.

 

FOTOS:

Covestro (Labor); Teresa van Dongen (Schaumwürfel); Maxwell Ashford/Nikolai Frerichs; Getty Images/Tabishere (Farbverlauf); HPP Architekten (The Cradle); Getty Images/wacomka (Kugeln)

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