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WAS DIE WISSENSCHAFT BIS HEUTE NICHT WEISS

—— Mithilfe der Wissenschaft haben wir in den vergangenen Jahrhunderten etliche Rätsel und Probleme gelöst. Doch manche Fragen lassen selbst die klügsten Köpfe ratlos zurück. Fünf Mysterien, an denen die menschliche Intelligenz bis heute scheitert.

Bild eines Schwarzen Lochs durch ein Teleskop betrachtet.

TEXT THOMAS SCHMELZER
FOTO EVENT HORIZON TELESCOPE COLLABORATION

Als der Astrophysiker Stephen Hawking vor einiger Zeit gefragt wurde, ob er sich ein einer Tradition mit Albert Einstein, Galileo Galilei und Max Planck sehe, gab er eine bescheidene Antwort: „Alle Wissenschaftler versuchen, an der Pyramide menschlichen Wissens weiterzubauen. Ich hoffe, dass ich einen kleinen Stein dazutun konnte“, sagte er und beschrieb zugleich das Paradox, dass im Gesamtbild der Wissenschaft selbst größte Errungenschaften meist nur geringen Fortschritt bedeuten.

Zur Erinnerung: Albert Einstein entwickelte die Relativitätstheorie und revolutionierte damit das menschliche Verständnis von Raum und Zeit. Galileo Galilei bewies mit seinen Experimenten, dass alle Objekte im Vakuum gleich schnell zu Boden fallen und begründete die Kinematik. Max Planck gilt als Begründer der Quantenphysik, auf der unter anderem Smartphones oder Fernseher beruhen. Stephen Hawking selbst wurde mit seinen Arbeiten zu schwarzen Löchern berühmt.

Alle vier Forscher haben die Wissenschaft entscheidend vorangebracht. Alle vier verfügten über außergewöhnlich hohe Intelligenz. Und doch blieben auch nach ihren Erkenntnissen unzählige Fragen der Welt ungelöst. „Wir wissen nicht einmal ein Millionstel Prozent der Dinge“, brachte der Erfinder der Glühbirne Thomas Edison diese ernüchternde Erkenntnis auf den Punkt. Dieses Wissen um das Unwissen bildet den Kern der Wissenschaft, erstaunt aber von Zeit zu Zeit angesichts modernster Technologien umso mehr. Wir stellen fünf Rätsel vor, die bis heute ungelöst sind, und erklären, warum sie so knifflig zu lösen sind.

WAS PASSIERT IN SCHWARZEN LÖCHERN?

Sie verschlingen Sterne, verschlucken Licht und verdichten Materie in ihrem Innersten zu einer unendlich großen Masse, die alle bekannten naturwissenschaftlichen Gesetze ignoriert. Was wie der unwirkliche Ort in einem Science-Fiction-Film klingt, ist in Wahrheit die Beschreibung eines der faszinierendsten Rätsel der Physik. Schwarze Löcher ziehen Wissenschaftler seit ihrer Entdeckung in ihren Bann – und lassen sie noch immer mit riesigen Fragezeichen zurück.

Einigkeit herrscht inzwischen darüber, dass es schwarze Löcher gibt und sie entstehen, wenn Sterne ihre Energie verbraucht haben und aufgrund der Gravitation in sich zusammenfallen. Durch die extreme Gravitationskraft konzentriert sich unendlich viel Masse auf kleinstem Raum. Alles, was in schwarze Löcher hineingesogen wird, verschwindet unwiderruflich darin. Das ist auch der Grund, warum ihr Inneres so schlecht beobachtet werden kann.

„Schwarze Löcher sind das dunkelste Geheimnis unserer Galaxie“, formulierte das Nobelkomitee, als es die Preisträger für 2020 bekannt gab. Weil sich schwarze Löcher der direkten Beobachtung entziehen, müssen Wissenschaftler ihre Erkenntnisse über sie aus Theorien und aus indirekten Beweisen der experimentellen Physik ableiten.

Das ist mühsam, hat aber über Jahrzehnte trotzdem eine Art Grundkonsens erzeugt. Die meisten Forscher gehen heute davon aus, dass es im Mittelpunkt der Milchstraße ein schwarzes Loch gibt, das die Umlaufbahn der Sterne im Zentrum unserer Galaxie bestimmt. Die ungefähre Masse dieses schwarzen Lochs dürfte bei etwa vier Millionen Sonnen liegen, seine Lage etwa 26.000 Lichtjahre von der Erde entfernt. Bis heute können Forscher das schwarze Loch nicht direkt sehen. Aber immerhin können sie es durch die Beobachtung der Geschehnisse um es herum erahnen.

WARUM BENÖTIGEN WIR SCHLAF?

Durchschnittlich verbringt der Mensch rund 20 Jahre seines Lebens im Schlaf. Der ist wichtig für die Regeneration, hilft bei der Verarbeitung kognitiver Reize und spart Energie. Es gibt noch etliche weitere Gründe, warum wir schlafen müssen, aber welcher davon der Hauptgrund ist, weiß die Wissenschaft bis heute nicht.

Sicher ist: Unser Körper regeneriert sich im Schlaf. Er baut freie Radikale ab, die unser Erbgut schädigen können, und Eiweiße mit einer gesundheitlich positiven Wirkung auf. Für diese Aufgaben müsste der Körper aber noch lange nicht das Bewusstsein ausschalten. Einige Psychologen vermuten deswegen, dass das menschliche Gehirn für Sortierarbeiten eine Tiefschlafphase benötigt. Erinnerungen, die im Wachzustand im Hippocampus gespeichert werden, könnten im Tiefschlaf auf unser Großhirn überspielt werden. Der Wachzustand würde diese Verarbeitung stören. Eine Gegenthese behauptet, dass Schlaf nicht zum Speichern, sondern zum Löschen von Erinnerung benötigt wird. Ohne Löscharbeiten, so die Argumentation, wäre das Gehirn schnell überlastet.

Die bestehenden Theorien müssen sich allerdings nicht zwingend gegenseitig ausschließen. So laufen viele Prozesse, die alle einen wichtigen Nutzen haben, im Schlaf parallel ab. Da Schlaf erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts intensiver erforscht wird, sind die genauen Zusammenhänge bis jetzt nicht geklärt.

WIE VIELE DIMENSIONEN HAT DAS UNIVERSUM?

Vorn – hinten, oben – unten, links – rechts: Mehr Raumdimensionen kennen wir nicht. Umso schwerer fällt es uns, uns vorstellen, dass es noch fünf, 15 oder gar 30 weitere geben könnte. Genau davon gehen aber viele Physiker aus. Was so schwer vorstellbar ist, könnte der Schlüssel zur Erklärung anderer ungelöster Rätsel der Teilchenphysik und Kosmologie sein und möglicherweise erklären, warum sich der dreidimensionale Raum als besonders widerstandsfähig erwiesen hat. Dazu müssen die bislang unentdeckten Dimensionen aber erst einmal gefunden werden.

Albert Einstein war der Erste, der dem dreidimensionalen X-Y-Z-Koordinatensystem eine vierte Achse hinzufügte. Die Erweiterung um den Faktor Zeit war in der Physik revolutionär und führte zu einer Annäherung an eine mathematisch korrekte Darstellung der Wirklichkeit. Ganz genau verstanden hat die Physik diese vierte Dimension aber bis heute nicht. Und so herrscht auf dem Gebiet Stillstand – zumindest in puncto experimenteller Nachweisbarkeit. Denn theoretisch denken viele Wissenschaftler über noch viel mehr neue Dimensionen nach.

Die Stringtheorie etwa geht von zehn existierenden Dimensionen aus. Ihre Erweiterung, die M-Theorie, bereits von 11, und die Bosonen-Stringtheorie von 26. Allen Theorien gemein ist der Versuch, die bisher bekannten Naturkräfte einheitlich zu verstehen, sie zu beschreiben und so an weitere Erkenntnisse zu gelangen. Auf die genaue Anzahl der Dimensionen kommt es vielen Wissenschaftlern deswegen gar nicht an. Vielmehr interessieren sie sich für die die Informationen, die jede einzelne Dimension möglicherweise enthält. Der theoretische Physiker Lee Smolin formuliert das ungelöste Rätsel so: „Wenn die Stringtheorie oder die Schleifen-Quanten-Gravitation die Lösung selbst wären, würden wir es inzwischen wissen. Sie mögen Anhaltspunkte sein, kleine Teile der Antwort, sie mögen wichtige Erkenntnisse enthalten, sind aber keinesfalls mehr.“

WO ENTLANG FÜHRT DER SCHNELLSTE WEG DER MÜLLABFUHR?

Einfach eine Karte öffnen, die möglichen Wege vergleichen und den kürzesten auswählen, um die schnellste Route zu bestimmen? Könnte man denken. Tatsächlich aber gehört das Ausgangsproblem der Müllauto-Frage zu den sogenannten Millennium-Problemen der Mathematik, für deren Lösung es zwar ein Preisgeld, aber bisher noch keine befriedigende Antwort gibt.

Das Müllabfuhr-Rätsel ist auch unter dem Namen „Botenproblem“ oder „Problem des Handlungsreisenden“ bekannt und beschäftigt Mathematiker seit Jahren. Einige haben zwar Ansätze ausgemacht, wie die kürzeste Strecke zu berechnen wäre, nur übersteigt die notwendige Rechenleistung die Polynomialzeit, die als Wert für die praktische Lösbarkeit oder Unlösbarkeit eines Problems angesehen wird, um ein Vielfaches. Ein Problem wird in polynomieller Zeit lösbar genannt, wenn es von einem Algorithmus gelöst werden kann, dessen benötigte Rechenzeit höchstens polynomiell mit der Größe der Eingabe des Problems wächst. Als Beispiel: Um fünf Zahlen zu addieren, brauchen wir fünf Rechenschritte. Die Laufzeit ist demnach genauso lang, wie die Eingabezeit. Wenn diese Werte nicht mehr übereinstimmen, handelt es sich nicht mehr um Polynomialzeit.

Aktuell hat niemand eine Idee, wie das Müllabfuhr-Problem gelöst werden kann. Zwar existiert ein Algorithmus, der eine vorgeschlagene Lösung schnell auf ihre Richtigkeit überprüfen kann. Jedoch wurde noch kein Algorithmus gefunden, der das Problem umgekehrt auch schnell lösen könnte. Ob so ein Algorithmus je entwickelt werden kann, gilt inzwischen als fragwürdig.

WAS IST DUNKLE MATERIE?

Menschen glauben in der Regel nur das, was sie sehen. Deswegen ist das Universum so schwer zu begreifen. Sonne, Mond, Sterne sowie Gas und Staub sind noch sichtbar, machen aktuellen Erkenntnissen zufolge aber nur etwa fünf Prozent der Gesamtmaterie des Universums aus. Woraus besteht also der Rest? Die Wissenschaft geht von einer nicht sichtbaren Masse – der dunklen Materie — aus.

Das größte Problem bei der Erforschung dieser unsichtbaren Masse ist naturgemäß ihre Unsichtbarkeit. Trotzdem nehmen viele Forscher aufgrund von astronomischen Phänomenen an, dass es sie gibt. Ohne sie würden etwa rotierende Galaxien durch die Fliehkraft sofort auseinandergetrieben. Der einzige echte Nachweis dunkler Materie ist bisher ihre Gravitationskraft. Forscher gehen davon aus, dass sie rund 27 Prozent unseres Universums ausmacht.

Als sei das noch nicht kompliziert genug, kommt eine weitere unsichtbare Masse hinzu: die dunkle Energie. Sie wirkt der Gravitationskraft der dunklen Masse entgegen und könnte dafür verantwortlich sein, dass sich das Universum auf ewige Zeit ausdehnen wird. Obwohl dunkle Energie und dunkle Materie so Gegensätze bilden, haben sie eins gemeinsam: Es gibt vielversprechende Forschungsansätze zu ihnen, bei der genauen Bestimmung tappt die Astronomie aber weiter im Dunkeln.

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