Das Zukunftsmagazin von TÜV SÜD

SAFE, SAFER, SMART

—— Digital vernetzte Verwaltungen und Systeme sind vermutlich der beste Schlüssel, um Naturkatastrophen, Epidemien und andere Gefahren zu kontrollieren. Wie smarte Städte und Regionen uns schützen.

TEXT FELIX ENZIAN
ILLUSTRATION BRATISLAV MILENKOVIĆ

Die Erde bebt, ein Tsunami türmt sich auf – und die Menschen wissen es schon Minuten, bevor er am Festland aufläuft. Dass dies heutzutage möglich ist, verdanken wir Sensoren an der Küste und am Meeresboden, die Daten über das Erdbeben per GPS ans Festland schicken, wo dann Millionen Menschen einen Alarm auf ihr Smartphone bekommen können. Diese Errungenschaft der Smart Region schützt auf der ganzen Welt Menschen vor Katastrophen. Und auch in unserem direkten Umfeld helfen Daten täglich, das Schlimmste zu verhindern. Während einer Pandemie beispielsweise können lebenswichtige Informationen in einer App gebündelt werden. Dank ihr sollen Behörden und Bevölkerung stets auf dem Laufenden über die Verfügbarkeit von Krankenhäusern, Ärzten, Impfstoffen und anderen Hilfsmitteln sein. Ebenfalls helfen sollen – auch ganz ohne Pandemie – Kameras und Sensoren, die Straßen und Gebäude überwachen, die Unfälle verhindern und Verbrechen aufklären.

Die Krisen des Jahres 2021 haben allerdings offenbart, dass in der digitalen Vernetzung noch viel Handlungsbedarf besteht. In der Coronapandemie sind Impfkampagnen oft zu langsam gelaufen, auch wegen unzureichender Informationsflüsse. Bei der Flutkatastrophe in Deutschland ertranken Menschen in ihren Gebäuden, weil Warnungen sie nicht erreichten oder die Dringlichkeit nicht erkannt wurde. Ebenso haben Waldbrände in Südeuropa, Kalifornien und Nordafrika den betroffenen Kommunen vor Augen geführt, wie überlebenswichtig effiziente Warnsysteme in der Zukunft sein werden.

NICHT NUR METROPOLEN MÜSSEN SMART SEIN

Eine, die das wie sonst kaum jemand auf der Welt verfolgt, ist Soo-Jin Kim. Sie ist Führungskraft im OECD Centre for Entrepreneurship, SMEs, Regions and Cities. Diese Abteilung der multistaatlichen Wirtschaftsorganisation OECD berät nationale und lokale Regierungen beim Aufbau von Smart Citys. Sie sagt: „Zu Beginn der Coronapandemie zeigten sich Länder wie Südkorea aufgrund ihrer fortgeschrittenen Digitalisierung und größeren Erfahrung mit früheren Epidemien gewappneter als andere.“ Wie Soo-Jin Kim berichtet, hat zum Beispiel die Hauptstadt Seoul davon profitiert, dass schon vor der Pandemie eine digitale Strategie entwickelt wurde, um Infektionsketten schnell zurückzuverfolgen und zu unterbrechen. Besuche in Gastronomie und Handel werden per QR-Code-Scan erfasst. So ist es auch in anderen Ländern üblich, doch Südkorea geht einige smarte Schritte weiter: Tritt eine Infektion auf, fließen die Daten zur Kontaktverfolgung an die Korea Disease Control and Prevention Agency (KDCA) weiter, ansonsten werden sie gelöscht. Darüber hinaus wertet die KDCA den bargeldlosen Zahlungsverkehr und die Mobilfunknetze aus, um die Auskünfte von Infizierten zu ergänzen und anonymisierte Warnhinweise an mögliche Kontaktpersonen zu schicken. „Südkorea hat es geschafft, Datentransparenz und Datenschutz in der Pandemiebekämpfung in Einklang zu bringen – aufgrund einer höheren öffentlichen Akzeptanz als in anderen Ländern“, sagt Soo-Jin Kim.  

Allerdings sollten Smart-City-Konzepte nicht nur auf Metropolen zugeschnitten sein. Gerade ländliche und strukturschwache Räume würden Unterstützung beim Aufbau von Smart Regions benötigen. „Wenn Digitalisierungs-strategien fachbereichsübergreifend gedacht werden und alle Teile der Bevölkerung miteinbeziehen, können smarte Communitys entstehen, in denen die Menschen nachhaltiger und sicherer leben“, sagt die OECD-Expertin.

Wie also können wir alle von klugen Algorithmen und rasant fließenden Daten profitieren? Fünf Beispiele aus Katastrophenschutz, Gesundheitsversorgung, Kriminalitätsprävention, Umweltsicherheit und Verkehrssicherheit zeigen, was heute schon möglich ist.

VERKEHRSSICHERHEIT

Vom autonomen Fahren erhoffen sich Verkehrsplaner einen sicheren Verkehrsfluss. Mithilfe von Radar, Kameras und Sensorik steuern und überwachen Assistenzsysteme schon heute Geschwindigkeit, Fahrabstände, Spurwechsel und das Abbiegen. Notbremsungen werden von automatisierten Systemen schneller und sicherer durchgeführt als von Fahrern. Der neue Mobilfunkstandard 5G ermöglicht eine zuverlässige Kommunikation der Fahrzeugsensoren untereinander und mit jenen der Verkehrsinfrastruktur. Bei schlechter Sicht können Autofahrer etwa ein automatisches Warnsignal vom Fahrzeug des Vordermanns oder von einer Ampel erhalten – und so frühzeitig bremsen. Smarte Straßenbeleuchtungen machen sich diese Technologie ebenfalls zunutze. Sobald sich Fahrzeuge oder Fußgänger nähern, wird die Beleuchtung heller und damit sicherer.

GESUNDHEITSVERSORGUNG

Der technologische Fortschritt ermöglicht es öffentlichen Gesundheitssystemen, die Menschen besser zu versorgen. Diese müssen dafür nicht einmal mehr das eigene Haus verlassen, wie zum Beispiel Barcelona bereits seit vielen Jahren zeigt. Die katalanische Stadt startete 2013 ihr sogenanntes Telecare-System. Dabei erhalten alte und kranke Menschen eine speziell designte Telefonsprechanlage und eine Fernbedienung, die um den Hals hängt. Haben sie einen Notfall, können sie mit dieser Fernbedienung das Telefongerät aktivieren, selbst wenn sie in einem anderen Raum sind. Lautsprecher und Mikrofon schalten sich ein und die Zentrale des Gesundheitsservices kann mithören, was vor Ort passiert. Gegebenenfalls entscheiden die Verantwortlichen dann, einen Rettungswagen vorbeizuschicken. Dieses System ließe sich theoretisch um weitere Aspekte erweitern. So könnten über das Telecare-System auch die Vitaldaten der Teilnehmer überwacht und zum Beispiel im Falle eines unregelmäßigen Herzschlags der Notarzt alarmiert werden. Gerade bei Epidemien könnten auch Contact-Tracing und Überwachung der Quarantäne über dieses Modell erfolgen.

UMWELTSICHERHEIT

Umweltrisiken lassen sich durch digitale Vernetzung kontrollieren und reduzieren. In Niedersachsen setzt die Ostfalia Hochschule das Projekt „Smart Forestry“ um. Das Projektteam ermittelt den Zustand der Bäume und Pflanzen über Begehungen, Zählungen, Luftbildaufnahmen und Drohnenflüge. Die Verwendung von 5G ermöglicht dabei den Einsatz von besonders vielen autarken Sensoren mit hoher Reichweite bei geringem Energieverbrauch. Die Messwerte können dann Aufschluss über Klimaeinflüsse, Schädlingsbefall, Trockenheit und Brandgefahr geben. Auch in Gewässern bietet sich der Einsatz von Sensoren an, etwa um die Wasserqualität zu messen, Pegelstände von Flüssen zu überwachen und Hochwasser besser voraussagen zu können.

KRIMINALITÄTSPRÄVENTION

Peng! Wenn es in der Straße knallt, zucken die Menschen zu Recht zusammen, dabei ist oftmals gar nicht klar, woher das Geräusch kam und ob es womöglich der Schuss einer Waffe war. In der US-amerikanischen Großstadt Denver haben die Behörden nun Sensoren getestet, die potenzielle Gewehrschüsse erkennen und orten sollen. Sie senden eine Audioaufnahme an einen menschlichen Analytiker, der im Notfall in weniger als 60 Sekunden die Polizei alarmiert. Auf diese Weise erreicht die Polizei den Ort des Geschehens zum Teil schon, bevor Anwohner die Notrufnummer 911 verständigt haben. Verletzte können so schneller versorgt werden und die Polizei kann Verbrecher schneller dingfest machen.

KATASTROPHENSCHUTZ

Wenn in der Regenzeit in Indonesien das Wasser des Ciliwung über die Flussufer steigt und die Straßen von Jakarta flutet, wertet Petabencana.id, ein Disaster-Bot, die Katastrophenlage aus. Die Software scannt soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook nach Fotos und Nachrichten über das Hochwasser. Sobald jemand in Jakarta das Wort „banjir“ (Überschwemmung) postet und @PetaJkt markiert, antwortet der Bot automatisch und bittet um eine Bestätigung des Tweets mit georeferenzierten Fotos. Die Plattform kombiniert alle eingehenden Daten und visualisiert sie. Innerhalb von Minuten entsteht eine sich stets aktualisierende Online-Hochwasserkarte. Sie zeigt, welcher Straßenabschnitt wie stark betroffen ist. Einwohner können das Areal meiden, und die Stadtverwaltung weiß, wo Hilfe am dringendsten benötigt wird. So können Hochwasser-Selfies buchstäblich Leben retten. In der indonesischen Hauptstadt hat sich der Disaster-Bot bewährt. Er soll nun auch in anderen Regionen des Landes verwendet werden.

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