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MAGIE DER TEILCHEN

—— Ein Bit ist entweder eins oder null. Ein Qubit dagegen kann in einem einzigen Moment auch die unendlich vielen Zustände dazwischen annehmen. Soweit die Theorie. Wie aber funktionieren Quantencomputer in der Praxis? Wo und wann sind sie einsatzbereit? Und warum dachte Einstein bei Quantenexperimenten an einen Spuk?

Foto eines Quantenbits, dem sich gerade eine Pinzette nähert.

TEXT LARS-THORBEN NIGGEHOFF
FOTO MATTIA BALSAMINI

In der Welt der Quanten herrschen seltsame Zustände. Kleinste Teilchen ignorieren die Logik. Sie befinden sich gleichzeitig an unendlich vielen Orten und beeinflussen sich gegenseitig, ohne miteinander in Verbindung zu stehen. Die Quantenmechanik sprengt die Grenzen unserer Vorstellungskraft. Doch ist sie keine Science-Fiction, sondern die grundlegende physikalische Theorie unseres Universums.

Mit ihrer Hilfe lässt sich die digitale Welt neu denken: Seit vielen Jahren forschen Unternehmen an Quantencomputern, die in der Lage sind, gigantische Aufgaben zu erledigen. Zum Beispiel den Berufsverkehr so zu leiten, dass keine Staus entstehen. Personifizierte Medikamente zu entwickeln, die auf den individuellen Organismus eines Patienten zugeschnitten sind. Das Wachstum eines Tumors so genau zu analysieren, dass er wirkungsvoll gebremst werden kann. Verschlüsselungen zu erzeugen, die so sicher sind, dass noch nicht einmal andere Quantencomputer sie knacken können. Klimamodelle zu erstellen, die exakt prognostizieren, welche Maßnahmen gegen die Erd­erwärmung wie effektiv sind. Kurz: Die Quantencomputer fangen da an, wo herkömmliche Superrechner aufhören. Weil die Datenmenge zu groß, die Abhängigkeiten zu komplex sind.

Die Grundsätze der Quantenphysik entstanden bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, im Kanon der Theorien ist die Quantenphysik ein alter Hut, ihre Gesetze begegnen uns im technischen Alltag ständig. Ob GPS-Systeme oder moderne Augenoperationen, Smartphone-Displays oder CD-Spieler – ohne Quantenmechanik gäbe es diese Dinge nicht. Eine Frage jedoch sorgte lange für Kopfzerbrechen: Ist es möglich, die Welt der Quanten in Computerchips zu bringen?

Die Antwort, Stand heute, sehr verkürzt: „Ja, aber …“ Um mehr darüber zu erfahren, lohnt sich ein Anruf bei Klaus Mainzer. Der Philosoph, Physiker und Mathematiker ist Autor von Büchern über Zukunftstechniken wie Künstliche Intelligenz oder Quantencomputer sowie emeritierter Professor an der Technischen Universität München. Im Gespräch startet er seine Reise zu den Quanten in der klassischen digitalen Welt der Bits. Herkömmliche Computer bezeichnet er als „Schalterkästen“. Das meint er gar nicht despektierlich, er beschreibt damit, wie diese Rechner aufgebaut sind: „In den Chips befinden sich gigantische Mengen an Schaltern, die entweder auf null oder eins gestellt werden.“ Werden diese Schalter klug kombiniert, ergeben sich daraus Algorithmen. Mehr als die zwei Zustände Null und Eins kennt selbst der leistungsfähigste klassische Supercomputer nicht.

Geometrische Zeichnung eines Qubits

Ein Quantencomputer dagegen arbeitet mit Qubits, also mit Entscheidungssystemen auf Basis der Quantentheorie. Auch Qubits können den Zustand null oder eins annehmen, darüber hinaus aber auch alle anderen Zustände dazwischen. Und zwar nicht der Reihe nach, sondern in einem einzigen Moment. Das sei wie bei einer Wanduhr, verdeutlicht Klaus Mainzer: „Bei klassischen Computern steht der Zeiger entweder oben auf der zwölf – für null – oder unten auf der sechs – für eins. Zwischen diesen beiden Zuständen springt er immer hin und her. Im Quantencomputer dagegen wandert er kontinuierlich zwischen beiden Zuständen. Diese Zwischenzustände zeigen an, mit welcher Wahrscheinlichkeit er näher bei der Null und Eins ist. Die Überlagerung aller dieser Möglichkeiten zwischen null und eins ist in einem Quantenbit zusammengefasst.“ Diese Fähigkeit zur Überlagerung von Zuständen nennt man Superposition.

Foto einer Maschine mit der der Zustand von Teilchen beeinflusst werden kann.
Foto von unterschiedlichen durchsichtigen Kolben, in denen Partikel befestigt sind.
FRAGILES GLEICHGEWICHT Forscher versuchen, den Zustand von Partikeln zu beeinflussen, um etwa Superpositionen zu erstellen.

VERSCHRÄNKUNG: TEILCHEN-TELEPORTATION

Quantenteilchen besitzen eine zweite bemerkenswerte Eigenschaft, die Albert Einstein 1935 zu der berühmten Aussage verleitete, es hier mit einem Spuk zu tun zu haben. Man nehme zwei Photonen und schieße sie von einer zentralen Quelle aus in gegensätzliche Richtungen. Beide treffen unterwegs auf zwei Schirme, wo ihr jeweiliger Zustand gemessen wird. Der Spuk ist nun: Die beiden Teilchen haben sich zwar räumlich getrennt, bleiben aber miteinander verbunden – oder, so heißt es in der Quantentheorie, miteinander verschränkt. Misst man also den Zustand des einen Qubits, kennt man daher auch den Wert des verschränkten. Kombiniert man nun die beiden Eigenschaften Verschränkung und Superposition, ergibt sich eine Vorstellung davon, wie gigantisch die Rechenleistung eines Quantencomputers ist: Aufgaben, die ein klassischer Computer Schritt für Schritt durchrechnen muss, erledigen Qubits parallel.

Zeichnung eines Pluspoles links und eines Minuspoles rechts. Die Pole sind durch Striche miteinander verbunden.

„Es sind daher Hochleistungsalgorithmen nötig, um zu dekodieren, was Qubits errechnet haben.“

Klaus Mainzer

QUANTENSYSTEME SIND SENSIBEL

Die Theorie des Quantencomputers steht damit. Die praktische Nutzung der Qubit-Chips dagegen bleibt schwierig. Problem eins: Quantensysteme lassen sich nur sehr schwer künstlich herstellen. Man benötigt dafür Minustemperaturen, wie sie nur im Weltall vorkommen. Das dafür notwendige komplizierte Kühlsystem sorgt dafür, dass Quantencomputer wie historische Deckenleuchten aussehen. Problem zwei ergibt sich beim Auslesen der Rechenergebnisse: Der Output ist eine Überlagerung aller möglicher Rechenergebnisse, die höchst sensibel auf Störungen reagiert und schnell in sich zusammenbricht. „Es sind daher Hochleistungsalgorithmen nötig, um zu dekodieren, was Qubits errechnet haben“, sagt Klaus Mainzer. So gigantisch das Potenzial eines Quantencomputer auch ist: Es erfordert große Anstrengungen, seine Ergebnisse zu messen.

Geometrische Zeichnung einer Qubit Analogie

Seit einigen Jahren tasten sich die Entwickler Qubit für Qubit nach vorne, jetzt vermelden die großen Tech-Konzerne größere Fortschritte: Google kündigt an, ab 2029 kommerzielle Quantencomputer auf den Markt zu bringen. IBM hat einen Prototyp gebaut, der aktuell mit 127 Qubits rechnet, bis Ende 2022 sollen es 400 sein, bis Ende 2023 bereits 1 000. Das ist eine wichtige Grenze, weil Quantencomputer erst ab 1 000 Qubits den klassischen Rechnern bei der Lösung einer Vielzahl von Problemen überlegen sein werden. Erst damit beginnt also das Zeitalter der Quantenüberlegenheit.

In China liegt der Fokus dagegen auf der Entwicklung eines Quanteninternets, Ende 2021 legten die Europäer nach: Eine Forschungsallianz der Fraunhofer Gesellschaft und des niederländischen Forschungszentrums QuTech will ein Netzwerk von Quantencomputern entwickeln, in dem verschränkte Photonen durch optische Fasern gejagt werden. Wird das Teilchen unterwegs abgefangen oder manipuliert, erkennt das der Sender, weil sich auch der Zustand des verschränkten Photons ändert. Auf kurzen Wegen funktioniert dieses Hochsicherheitsnetz bereits, die Langstrecke bereitet jedoch Probleme, weil sich die Photonen auf ihrem Weg verlieren. Gearbeitet wird daher an „Zwischenstationen“, an denen die Informationen wie bei einem Staffellauf weitergegeben werden. Wobei eine Frage die Forscher am Quanteninternet in zwei Lager teilt: Lohnt sich der Aufwand?

Zwei Hände in türkisfarbenen Handschuhen halten ein technisches Element.
Foto auf dem verschiedene Kabel zu sehen sind, die Rechner miteinander verbinden.
Foto einer Person, die in einem Labor umgeben von Rechnern steht.
Das Quantenrennen Universitäten und Firmen arbeiten an ersten funktionsfähigen Rechnern. Unternehmensinitiativen untersuchen unterdessen, wie sich Quantentechnologie anwenden ließe.

NEUE KUNSTSTOFFE, BESSERE MEDIKAMENTE, RISIKOARME LOGISTIK

Deutlich konkreter sind mögliche Einsatzbereiche von Quantencomputern in der Wirtschaft. Im Sommer 2021 haben sich zehn große deutsche Konzerne zur Allianz Quantum Technology & Application Consortium (QUTAC) zusammengeschlossen, das Ziel: konkrete Anwendungsbeispiele für Quantencomputing finden. Dabei ist unter anderem BASF. Der Ludwigshafener Chemiekonzern sucht nach Wegen, Qubits zu nutzen, um optimale Substanzen zu entwickeln, die bei der Herstellung von Polymeren gewünschte Reaktionen beschleunigen. Diese „Kunststoff-Booster“ bezeichnet man in der Chemie-Industrie als Katalysatoren. Sie mit herkömmlichen Supercomputern zu modellieren, ist überaus komplex", die Chemiker arbeiten daher bislang mit Annäherungen oder Vereinfachungen. Mit Quantencomputern, so die Idee, seien keine Kompromisse mehr nötig. Ähnlich ist der Ansatz beim Pharmaziekonzern Boehringer Ingelheim, hier sollen Qubits bei der Entwicklung von Medikamenten helfen. 13 Jahre dauert es heute im Schnitt, bis ein Präparat die Zulassung erhält. Quantencomputer bieten das Potenzial, diese Zeit deutlich zu verkürzen. In die Logistik blickt der Versicherungskonzern Munich Re: Von Quantencomputern berechnete optimale und flexible Routen machen Lieferketten deutlich robuster gegenüber Störungen. Das vermindert Risiken – und freut die Versicherer.

Wird es also bald überall Quantencomputer geben? „Nein“, sagt Klaus Mainzer. Sein Szenario: „Sind klassische Großrechner von einer Aufgabe überfordert, holen sie sich passgenau Hilfe von Quantencomputern.“ So entstehe ein „hybrides Ökosystem der Computer“, wie Klaus Mainzer sagt. Es werde helfen, viele Probleme zu lösen. „Aber die Systeme aufbauen und kontrollieren sowie die praktischen Ergebnisse überprüfen, müssen wir schon noch selbst.“

Geometrische Zeichnung einer Block Kugel, die ein Qubit darstellt.
Geometrische Zeichnung einer Q-Kugel bestehend aus 5 Qubits.

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