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Aufnahme des Teleskopes "Hubble", das im Weltall schwebt. Am linken Bildrand ist ein Planet zu erkennen. Das Gefährt steht frei im dunkeln Raum. Es ist von unten aufgenommen, an den Seiten sind Antennen zu sehen.

DAS AUGE DER WELT

TEXT NILS WISCHMEYER
FOTO GETTY IMAGES / STOCKTRECK IMAGES

—— Das Hubble-Weltraumteleskop ist seit mehr als 30 Jahren im Einsatz und hat der Menschheit das Universum näher gebracht. Dabei lief die Mission Anfangs alles andere als glatt.

Als es Klick macht, ist die Bestürzung auf der Erde kaum in Worte zu fassen. Über Jahrzehnte hatten Ingenieure und Wissenschaftler am Hubble-Weltraumteleskop gearbeitet und große Hoffnungen in das Gerät gesteckt, dessen Spiegeldurchmesser allein 2,4 Meter maß. Gestochen scharfe Aufnahmen hatten sie sich von dem 13 Meter langen Koloss erhofft, den sie mit Hilfe des Space-Shuttles aufwändig ins Weltall gehievt hatten, Bilder von Galaxien, Sternen und all den Himmelskörpern, die der Mensch besser verstehen will.
 
Doch als das Teleskop von der Größe und dem Gewicht eines Schulbusses im Jahr 1990 die ersten Bilder mit der Faint Object Camera macht, wird schnell klar: Da stimmt was nicht. Die Aufnahmen sind aufgrund eines Fehlschliffs des Hauptspiegels unscharf. Doch zum Glück beeinträchtigt er die Bildqualität systematisch, was die Fehleranalyse vereinfacht. Rund drei Jahre dauert es dann, bis die Wissenschaftler eine Lösung finden und eine Crew eigens mit einer „Korrekturbrille“ für den teuren Satelliten ins All schicken. In Weltraumspaziergängen von mehr als 35 Stunden schließt sie die Reparaturarbeiten ab. Die NASA spricht bis heute von einer “der anspruchsvollsten und komplexesten bemannten Missionen, die je unternommen wurden.” Später folgen weitere Wartungsmissionen, die letzte im Jahr 2009. 

Einmal repariert liefert Hubble seit nunmehr drei Jahrzehnten beeindruckende Bilder von fernen Galaxien sowie von Planeten, Sternen und Nebeln in der Milchstraße und das in einer deutlich schärferen Qualität, als wenn Wissenschaftler gleichgroße Teleskope auf der Erde nutzen würden. Der Grund dafür ist die Luftunruhe, die sogenannte atmosphärische Szintillation, die das beugungsbegrenzte Auflösungsvermögen bodengebundener Teleskope einschränkt, von der aber Hubble im luftleeren Weltraum nicht beeinträchtigt wird.

“Hubble ist quasi eine enorm leistungsstarke Zeitmaschine, die weit in die vergangenen Zeitabschnitte des Kosmos schaut.“

Manfred Gaida, Astronom und Mitarbeiter des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR)

Erst kürzlich entdeckte Hubble mithilfe des lichtverstärkenden Gravitationslinseneffekts einen einzelnen Stern, der sich so weit weg befindet wie kein anderes bekanntes stellares Objekt. Der Stern ist heute längst erloschen, doch benötigt das Licht fast 13 Milliarden Lichtjahre, um uns zu erreichen. “Hubble ist quasi eine enorm leistungsstarke Zeitmaschine, die weit in die vergangenen Zeitabschnitte des Kosmos schaut. Ob es ferne Galaxien sind, denen wir beim Verschmelzen zuschauen, oder hell aufleuchtende Supernovae, sprich Sterne, die explodieren: Was wir heute sehen, ist alles schon geschehen und vorbei“, erklärt Manfred Gaida, Astronom und langjähriger Mitarbeiter des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).
 
Die Entdeckung des Sterns „Eearendel“, aus dem Altenglischen übersetzt “Morgenstern”, ist nur eines von vielen Highlights, die das Hubble-Teleskop in den 30 Jahren seit seinem Start im All eingefangen hat. Gaida sagt: „Das Hubble-Teleskop hat alle Erwartungen der Astronomen weit übertroffen, auch wenn es anspruchsvoll ist, dies über die spektakulären Bilder hinaus der Allgemeinheit im Detail begreifbar zu machen.” Die Entdeckungen und Erkenntnisse, welche das Hubble-Teleskop beispielsweise zu Supernovae, zur Expansion des Universums oder zur Sternentstehung in Gas- und Staubnebeln gewonnen hat, stehen niemals für sich allein. “Eine Aufnahme kann zum Bespiel einen Mosaikstein, der eine wissenschaftliche Ansicht stützt, enthalten und auf einem anderen Bild findet sich ein zweiter Stein, der besser zu einer anderen Ansicht passt. Wir müssen diese einzelnen Bausteine unermüdlich zusammensetzen und schließlich das Gesamtbild noch mit den Daten anderer Teleskope im Weltraum und auf dem Boden in Einklang bringen, um den Vorgängen im All umfassend und ungetrübt auf die Schliche zu kommen”, sagt Gaida über die 120 Gigabyte an Daten, die das Teleskop pro Woche regulär zu den Bodenstationen sendet. Wie und auf welchen Zeitskalen verschmelzen Galaxien? Wie genau entstehen Sterne im interstellaren Medium? Bei Antworten auf solche Fragen kann Hubbles gewaltiges Datenmaterial helfen. Ob das alles wiederum eines Tages auch einen praktischen Nutzen hat, lässt sich jedoch nicht klar beantworten. Es sei, so Gaida, eher wie bei der Atom- und Kernphysik. Die reine Grundlagenforschung sei nämlich primär nicht auf einen unmittelbaren wirtschaftlich-monetären Nutzen aus, auch wenn sich ein solcher oft einstelle und auszahle. „So stecken heute zum Beispiel in der Lasertechnik und Kernspintomographie die Erkenntnisse der Quantentheorie, die vor mehr als 100 Jahren entwickelt wurde, um die sonderbaren Eigenschaften der Atome und ihrer Kerne zu begreifen  ̶  zu einer Zeit, als noch niemand an irgendwelche nützlichen Anwendungen, die daraus resultieren könnten, dachte“, so Gaida.
 
32 Jahre lang hat Hubble der Wissenschaft stets neue Bilder geliefert und wird das vermutlich noch bis zum Jahre 2026 tun. Spätestens dann, so gehen Forscher davon aus, wird das James-Webb-Teleskop die Rolle seines weltberühmten Vorgängers voll und ganz übernommen haben. Dieses Hightech-Gerät, das mit einer größeren Sammelfläche und einer ausgefeilten Technik für den infraroten Wellenlängenbereich ausgestattet ist, ist bereits an seinem erdfernen Beobachtungsplatz, dem Lagrangepunkt 2, angekommen. Dort wird es vor allem versuchen, die allerersten Galaxien und Sterne aufzuspüren, die in der ersten Milliarde Jahre nach dem Urknall, im sogenannten „dunklen Zeitalter“, entstanden sein sollen.

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