DER SCHLAFENDE RIESE
—— In vielen Branchen werden Wasserstofftechnologien bereits eingesetzt. Bis die Nischenanwendung massentauglich wird, ist der Weg allerdings noch weit.
Während Elektrofahrzeuge im Personenverkehr weiter an Relevanz gewinnen, stößt die Batterietechnologie bei Schwerlastfahrzeugen, Schiffen und Flugzeugen an ihre Grenzen. Hier kommen die Stärken von Wasserstoff zum Tragen: Brennstoffzellen-Lkw erreichen Reichweiten von über 800 Kilometern und können innerhalb von Minuten betankt werden – ein entscheidender Vorteil. Im Schiffsverkehr sind bereits erste Wasserstoff-Fähren unterwegs und Unternehmen wie Airbus arbeiten intensiv an der Entwicklung von Wasserstoff-Antrieben für Mittelstreckenflugzeuge. Der Transportsektor, der für etwa ein Fünftel der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich ist, könnte durch den Einsatz von Wasserstoff einen bedeutenden Schritt in Richtung Klimaneutralität machen.
Die Stahlindustrie, mit einem Anteil von 7-9 % an den globalen Treibhausgas-Emissionen, sucht ebenfalls nach einer Lösung. Traditionell entsteht Stahl in Hochöfen durch die Reduktion von Eisenerz mithilfe von Kokskohle. Wasserstoff bietet hier eine revolutionäre Alternative, denn bei der Direktreduktion mit Wasserstoff entsteht statt CO₂ lediglich Wasserdampf. Pilotanlagen in Schweden und Deutschland haben bereits vielversprechende Ergebnisse geliefert: Laut der Wirtschaftsvereinigung Stahl könnten so bis 2030 25 % der prozessbedingten CO₂-Emissionen eingespart werden. ThyssenKrupp plant, bis 2045 seine gesamte Stahlproduktion auf wasserstoffbasierte Verfahren umzustellen – ein Game-Changer für eine der emissionsintensivsten Industrien weltweit.
Die chemische Industrie ist nicht nur ein großer Energieverbraucher, sondern nutzt fossile Rohstoffe auch als Basis für zahlreiche Produkte. Besonders relevant ist die Produktion von Ammoniak, dem Grundstoff für Stickstoffdünger. Ohne ihn wäre die moderne Landwirtschaft nicht denkbar. Derzeit verursacht die Ammoniak-Herstellung etwa 1 % der globalen CO₂-Emissionen. Mit grünem Wasserstoff lässt sich Ammoniak klimaneutral produzieren – erste großtechnische Anlagen gehen bereits in Betrieb. Darüber hinaus kann Wasserstoff als Grundstoff für zahlreiche weitere Chemikalien dienen – von Methanol bis hin zu synthetischen Kraftstoffen. So ließen sich fossile Rohstoffe in vielen chemiebasierten Alltagsprodukten ersetzen.
Eine der größten Herausforderungen der Energiewende ist die saisonale Speicherung: Wie lässt sich überschüssiger Solarstrom aus dem Sommer für den Winter aufbewahren? Wasserstoff bietet hier eine elegante Lösung. Durch Elektrolyse, also die Aufspaltung von Wasser in seine chemischen Bestandteile, kann überschüssiger Strom in Wasserstoff umgewandelt und in unterirdischen Kavernen oder dem bestehenden Gasnetz gespeichert werden. Bei Bedarf lässt sich der Wasserstoff wieder verstromen oder direkt nutzen. In den Niederlanden entsteht derzeit mit dem Projekt „HyStock“ ein Demonstrationsprojekt, das genau diesen Prozess abbildet. Die Technologie könnte entscheidend dazu beitragen, die Versorgungssicherheit in einem bisher wetter- oder jahreszeitabhängigen Energiesystem zu gewährleisten.
Rund ein Drittel der Energie in Deutschland wird für Wärme verbraucht, überwiegend aus fossilen Quellen. Wasserstoff-Heizungen könnten hier eine Alternative bieten, insbesondere in Bestandsgebäuden, wo eine vollständige energetische Sanierung oft schwierig ist. Moderne Brennwertkessel können schon heute mit Wasserstoff-Beimischungen arbeiten, und reine Wasserstoff-Heizungen befinden sich in der Erprobung. In Großbritannien läuft mit „H21 Leeds City Gate“ ein Vorhaben, das die Umstellung eines kompletten Stadtteils auf Wasserstoff-Heizungen vorsieht. Besonders günstig: Die vor Ort bestehende Gasinfrastruktur kann weitgehend weitergenutzt werden.