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VISION: VERWANDLUNGSKÜNSTLER

FOTO BWM GROUP

—— Dank einer neuen Technologie sollen Autos zukünftig auf Knopfdruck die Farbe ändern – und so weniger Energie für die Klimaanlage aufwenden. Die Technologie dahinter stammt ausgerechnet aus E-Book-Readern.

In der Wüsten- und Casinostadt Las Vegas wagen viele Zauberkünstler ihr Glück. Ein großes, kantiges Auto, dessen Oberfläche erst weiß ist, dann langsam grau und schließlich schwarz wird, wirkt da zumindest nicht fehl am Platz. Wie macht es das nur? Um den SUV, der auf der alljährlichen Technikmesse CES ausgestellt ist, reihen sich die staunenden Zuschauer und wollen die Zauberei aus der Nähe sehen.

Doch hinter dem großen Auto steckt kein Las-Vegas-Zaubertrick, sondern echte Ingenieursarbeit. Stolz präsentierte der Autohersteller BMW auf der Technikmesse im Januar 2022 den BMW iX Flow featuring E Ink, das weltweit erste Auto, das seine Farbe wechseln kann. Der Fahrer kann also bei schlechter Laune im schwarzen und bei guter Stimmung im weißen Auto zur Arbeit fahren – und so gleich seine Kollegen nonverbal vorwarnen.

Möglich ist das aufgrund der Technologie des Kooperationspartners E Ink, die in ähnlicher Form derzeit auch bei E-Book-Readern eingesetzt wird. In der Oberflächenbeschichtung des Autos sind mehrere Millionen Mikrokapseln eingebracht. In jeder Mikrokapsel befinden sich positiv aufgeladene schwarze Pigmente und negativ aufgeladene weiße Pigmente. Abhängig von der Polarität des elektrischen Feldes wandern entweder die schwarzen oder die weißen Pigmente zur oberen Seite der Mikrokapseln. Das Auto wird schwarz oder weiß. Um die Farbe zu halten, ist keine Energie nötig, nur beim Farbwechsel ziehen die Pigmente sich ein klein wenig Strom.

Die Frau hinter diesem technischen Zaubertrick ist Stella Clarke. Die Leiterin des Projekts und Ingenieurin erklärt den großen Vorteil: Helle und dunkle Farben nehmen Wärmeenergie unterschiedlich auf. Bei starker Sonneneinstrahlung kann eine weiße Oberfläche verhindern, dass sich das Auto stark aufheizt. Andersherum nimmt ein dunkles Fahrzeug bei kühler Witterung mehr Wärme aus dem Sonnenlicht auf. „In beiden Fällen ließe sich mit einem gezielten Farbwechsel dafür sorgen, dass die Kühl- beziehungsweise Heizleistung der fahrzeugeigenen Klimaanlage heruntergeregelt werden kann“, sagt Clarke. Das spare Energie – weshalb in einem rein elektrisch angetriebenen Fahrzeug der Farbwechsel auch zu einer Steigerung der Reichweite beitragen könne.

Darüber hinaus könnten die Autos die E-Ink-Technologie dafür nutzen, nach außen hin zu kommunizieren. Autos könnten in Schneestürmen künftig rot leuchten, damit sie besser gesehen werden, oder in der Stadt mit der Farbe Grün signalisieren, dass es sich um ein freies Car-Sharing-Fahrzeug handelt.

Abseits der Autoindustrie gibt es weiteres Potenzial. Schon heute ist die Technologie in den meisten E-Readern verbaut, weil sie stromsparend ist. Auch in Supermärkten ist sie zu finden, wo sie analoge Preisschilder ersetzt. Ebenso kommt sie teilweise an Bus- oder Bahnstationen zum Einsatz, außerdem wurde die Technologie bereits bei Kunstinstallationen verwendet. Kommen Farben dazu, sind die Möglichkeiten schier unendlich – etwa bei Smartphones. Schon jetzt gibt es einige Smartphone-Modelle, die E-Ink-Technologie nutzen, derzeit aber oft nur als Zweitbildschirm in Schwarz-Weiß auf der Rückseite. 

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