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WARUM SPIELEN WIR?

—— Dr. Rainer Buland, Leiter des Instituts für Spielforschung an der Universität Mozarteum in Salzburg, erklärt, welche Potenziale unser Spieltrieb freisetzen kann.

TEXT ANNA GAUTO
FOTO GETTYIMAGES/MELISSA TOWPICH/EYEEM

Herr Professor Buland, warum spielen wir? 

———— Aus evolutionsbiologischer Sicht ist das überlebenswichtig. Selbstvergessenes Ausprobieren und Experimentieren sind die effizientesten und nachhaltigsten Wege des Lernens.
Wir spielen, um zu lernen?
———— Ja. Es gibt kaum etwas, das Menschen so viel Freude bereitet wie Lernen – gutes Essen und Sex mal ausgenommen. Das Gehirn des Menschen und auch das vieler Tiere ist auf das Lernen ausgelegt, und das beste Medium, um Neues effizient zu lernen, ist das Spiel.
In vielen Schulen scheint das noch nicht angekommen zu sein.
———— Leider bemüht man sich heute, Kindern das Spielen zu verleiden. Sie sollen nicht lernen und eigene Erfahrungen machen, sondern Prüfungen von Erwachsenen absolvieren. Ob sie sie bestehen, ist zweitrangig, es geht vor allem um den Auswahlmechanismus. Nur mit einem sehr guten Notendurchschnitt darf man in vielen Ländern Medizin studieren. Dabei ist der Notenschnitt das bescheuertste aller Auswahlkriterien. Bulimie-Lernen wird immer noch belohnt, Sozialkompetenz, der Blick für Zusammenhänge, die innere Berufung dagegen nicht.
Warum wird der Spieltrieb so häufig gebremst?
———— Das hat eine lange Tradition. Nehmen Sie die Kernaussage des Buches „Der Spielteufel“ aus dem Jahre 1563: Der Hausvater sollte dafür sorgen, dass den Kindern alles Spiel verboten werde. Dahinter steht die protestantische Arbeitsethik. Unter den Nachwehen leiden wir noch heute.
Trotzdem spielen wir weiter. 

———— Der Spieltrieb ist uns angeboren. Das zeigt besonders deutlich auch die Geschichte des Glücksspiels: In Zeiten, in denen das Glücksspiel verboten war und die Casinos schließen mussten, wurde eben heimlich im Untergrund weitergespielt. Homo sapiens hat immer gespielt, sonst wäre er nicht zu einem sapiens geworden.
Was macht ein gutes Spiel aus?
———— Das hängt von den jeweiligen Wertvorstellungen in der Gesellschaft ab. Im 13. Jahrhundert war ein Sphärenspiel mit Planeten, die um eine Erde im Zentrum kreisten, sehr beliebt. Das spiegelte die damalige Weltsicht. Wer einen äußeren Planeten mit einer langen Umlaufbahn zog, wie den Saturn, hatte kaum eine Chance. Das war damals aber kein Problem, weil es ohnehin keine Chancengleichheit gab. Wollen wir unsere Jugend zu egoistischen Einzelkämpfern erziehen, wäre Schach ein gutes Spiel. Wollen wir Sozialkompetenz fördern, braucht es eher kooperative Spiele, wie das Brettspiel „Pandemie“. Spieler müssen dabei gemeinsam eine Seuche bekämpfen, die die Menschheit bedroht. Ich habe es vor Jahren mit meinen Kindern gespielt. Ihnen braucht niemand mehr erklären, wie gefährlich eine exponentielle Verbreitung ist.

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